Es ist leider nicht genau überliefert, worüber sich die Altöttinger 1489 mehr wunderten: dass ein totes Kind auf Fürsprache Mariens wieder zum Leben erwachte, oder dass plötzlich Pilger von überall her Geschenke, besser gesagt Zeichen des Dankes, sogenannte Votivgaben brachten. Vielleicht hatten die Altöttinger aber auch gar nicht so viel Zeit, genauer über das Aufblühen der Wallfahrt nachzudenken – immerhin galt es bei all den Ereignissen ganz praktische Herausforderungen zu bewältigen.
Jesuitenpater und Chronist Jacobus Irsing fasste 1643 die Ereignisse um 1489 folgendermaßen zusammen: “Nachdem Alten-Oettingen umb das Jahr 1489 durch die täglich zutragende wunderwerck weit und breit berühmt zu werden angefangen, hat die wahlfahrt dermaßen zugenommen, dass die mänge des volcks die kirchen nicht hat fassen mögen.”
Ziemlich genau überliefert ist aber die Fülle und die Vielfältigkeit der Gaben, die Kapellrechnung von 1492 listet auf: 7.346 Pfund 80 Pfennig Tafelgeld, 343 Pfund 5 Schilling 5 Pfennig Stockgeld, 1.720 Pfund Pfennig Wachsgeld, 1.966 Pfund Pfennig für etwa 324 Kleider, Schleier und Pelze, 64 Stück Großvieh, darunter nicht weniger als 24 Pferde, 13 Stück Kleinvieh: Füllen, Kälber, Widder, Lämmer, Ziegen, 59.860 Pfund Flachs, 3.698 Hühner, Getreide im Wert von 50 Pfund 13 Pfennig, Schmalz, Käse und Eier, verkauft um 15 Pfund 3 Schilling 22 Pfennig – das machte dann also im Ganzen: 12.375 Pfund Pfennig! Zum Vergleich: 3 Pfund 30 Pfennig kostete damals ein Pferd,1 Pfund 7 Schilling eine Kuh. Und das alles musste auch noch kilometerweit nach Altötting transportiert werden.
Hauptsächlich das bäuerliche Volk spendete
Die Gottesmutter war den Menschen damals viel wert. Hauptsächlich das bäuerliche Volk spendete – dies lässt sich an der Fülle der Naturalien ersehen. Aber auch Bürgertum und Adel gaben gern – Kapellrechnungen, Überlieferungen und Urkunden bestätigen dies; darunter eine Schenkungsurkunde der Witwe Anna Waldnerin, einer Neuöttinger Bürgerin, aus dem Jahr 1492 für die “kunigin junckfrawen Mueter Gottes Marie zw Alltnöetting”: Mit Brief und Siegel vermachte Witwe Anna der Gottesmutter einen Krautacker im Burgfriedder Stadt “unter den weitengarten auf der mittern gwanten (altes Ackermaß, ca. ¾ Joch)”.
Was tun mit all den Gaben? Was würde die Muttergottes damit anfangen? Es war nicht der materielle Wert der Gaben, der Maria beeindruckt haben dürfte. Eher schon die Idee, mit all den Schätzen die aufwändige Erweiterung der Stiftspfarrkirche (1499 und 1511) zu finanzieren, damit die herbeiströmenden Wallfahrer endlich wieder genügend Platz finden. “Dieses Gotteshaus ist erbaut von dem Gottsbrat (Opfergaben) Unsrer Frau und frommer Leute Gab”, verkündet eine Bautafel an der Ostseite der Kirche. “Das wurde auch Zeit”, mögen sich die Pilger aus Landshut gedacht haben – nach Berichten der Augenzeugen Veit Arnpeck und Hanns Vetter, Landshuter Stadtschreiber, sollen elf Priester und 1.500 Laien bereits 1493 betend und singend den Trägern des Kreuzes, wehenden Fahnen und einer 76 Pfund schweren Opferkerze (nach Arnpeck) gefolgt sein.
Traurige Anekdote am Rande
Auch der Nutzung von Schatzkammern dürfte Maria eingewilligt haben – zunächst wohl ein Turm der Stadt Neuötting, um 1517 dann fünf mächtige, mit drei bis fünf verschiedenen Schlössern gesicherte Eichentruhen in einem Gewölbe der Propstei, schließlich ein mit starken Fenstergittern versehener Anbau nördlich der Stiftskirche. Doch all die Sicherheitsmaßnahmen halfen nichts: Den Kapellschatz verwendete Herzog Georg der Reiche zur Finanzierung des sogenannten Landshuter Erbfolgekriegs 1504/05 – mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Dass 1505 Feldhauptmann Jörg Wisbeck Unserer Lieben Frau Streitross und Waffen als Weihegabe für erhaltene Hilfe dargebracht haben soll, erscheint da nur als eine traurige Anekdote am Rande.
Der Kapellschatz sollte nach dem Krieg wieder aufgefüllt werden, die materiellen Güter sind ersetzbar. Der ideelle Wert von Wallfahrt und Weihegaben jedoch ist durch nichts zu ersetzen. Gerade der Glaube und die Hoffnung der Menschen auf die Fürsprache Mariens sollten in den Folgejahren in seinen Fundamenten erschüttert werden.
Text: Michael Glaß