Flankiert vom Feldherrn Tilly (links) und vom Silberprinzen – der 1737 von Kurfürst Karl Albrecht gestifteten Figur in der Gnadenkapelle – begrüßt die "Schwarze Madonna" mit Kind die Leser auf dem Titel der "Boten"-Ausgabe vom 1. Mai 1910. Gleich darunter eine Aufnahme der Münchner Mariensäule mit der "Patrona Bavariae" und ein Mariengedicht. Doch so friedlich und harmonisch wie auf diesem Titel waren die Ausgaben der Jahre 1905-1914 nicht immer ...
Manch einer denkt nun vielleicht an die “Marienseite”, die seit langem auf Seite 24 des “Boten” ihren festen Platz hat. Bereits im ersten Rückblick ließ sich feststellen, dass sich das Profil der Zeitung in all den Jahren kaum verändert hat. “(…) Und die Stimmen all der Erde, einigen sich zum Konzerte: Ave Maria! (…) Und sowie die Welten kreisen, klingt’s und singt’s in frohen Weisen: Ave Maria!”, heißt es in dem Gedicht, das zeitlos ist und so auch heute auf der “Marienseite” stehen könnte.
Ein Bild der Schutzmantelmadonna am Eingang der Gnadenkapelle zeigte die “Boten”-Ausgabe vom 20. September 1914. Dass die Menschen zu Beginn des I. Weltkriegs (1914−1918) Schutz suchten, ist verständlich. Im “Boten” jener Zeit waren aber auch ganz andere Töne zu hören (siehe Text unten). Beeinflusst von der Kriegseuphorie kurz nach Ausbruch des I. Weltkrieges, ließ sich auch der “Bote” zu schrillen Durchhalteparolen hinreißen: Der Krieg “sei eine große heilige Sache, für die Ihr leidet”, schrieb die Zeitung in dieser Ausgabe etwa an die Mütter und Ehefrauen. Dass dies die Gottesmutter genauso sah, darf getrost bezweifelt werden …
Gehörig im Ton vergriffen
Doch leider klingen die “Stimmen der Erde” selten harmonisch und auch der “Bote” hat sich im Laufe seiner Geschichte auch schon gehörig im Ton vergriffen – so z.B. im Gedicht “Auf dem Felde der Ehre”, erschienen am 27. September 1914: “Lieb Vaterland, hurra, / Die Eisenzeit ist da! / Ge’n Hinterlist und Niedertracht / Zieh’n aus wir zur Entscheidungsschlacht. / Die Eisenzeit ist da, / Lieb Vaterland, hurra! (…)”. Recht schmerzhaft für die Ohren unserer Zeit klingt auch eine Ode an einen sehr bekannten Generalfeldmarschall des I. Weltkriegs in der Weihnachtsausgabe 1914 – “(…) Alles jubelt Dir entgegen: Heil Dir, Hindenburg, hurrah!”.
Nun klingt manches fremd, was früher einmal verbreitet und vertraut war, und es ist hierbei immer schwierig, in der Rückschau und in dem Wissen um den Ausgang der Geschichte ein gerechtes Urteil zu fällen. Objektiv lässt sich jedoch feststellen: Die allgemeine Kriegseuphorie in den ersten Monaten des I. Weltkriegs (1914−1918) hatte auch den “Boten”-Redakteur erfasst: “Mit Freude und Begeisterung reichen wir unseren Nachbarn in Österreich die Hand”, schrieb er kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ausgabe vom 2. August 1914. Und diese Euphorie hatte keinen guten Einfluss auf deren Urteilskraft: “Gott wird uns helfen! Denn dieser Krieg ist ein gerechter.” Ganz klar: Hier lag der “Bote” weit daneben.
Heute weiß man: Mit einer völlig verfehlten Bündnispolitik und der bedingungslosen Unterstützung Österreichs hatte sich das Deutsche Reich aller Einflussmöglichkeiten beraubt, inklusive der, den Krieg zu verhindern. Auch der “Bote” verkannte die Gefahr, erst recht die verheerenden Folgen dieses Krieges.
Nun ist jedoch auch der Redakteur nur ein Kind seiner Zeit, der bei all den Tönen den rechten immer erst suchen muss. Der “Bote” jener Jahre orientierte sich jedenfalls sehr deutlich an der Stimme von Papst Pius X. in Rom – und an dem “Konzert” der Monarchie, wenngleich ihm dabei die Stimme aus dem Hause Habsburg in Österreich-Ungarn weitaus näher war, als die des deutschen Kaisers und protestantischen Königs von Preußen, Wilhelm II. “Es kann uns als Bayern und Katholiken nur freuen, dass die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem uns stammverwandten katholischen Österreich jetzt so gute und herzliche sind (…)”, kommentierte der “Bote” am 9. Mai 1909 einen Besuch Kaiser Wilhelms II. in Wien.
Lange Berichte widmete der “Bote” in den Ausgaben im Mai 1908 den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Priesterjubiläum von Papst Pius X. in Altötting, als nicht nur viele Pilger aus Bayern und der Passauer Diözesanbischof, sondern auch der Apostolische Nuntius sowie viele Pilger aus Österreich und der Bischof des Erzbistums Salzburg den Wallfahrtsort besuchten. “Unsere österreichischen Stammesbrüder in Altötting”, titelte unsere Zeitung in großen Lettern am 17. Mai 1908.
Ähnlich wie der Papst in Rom, wandte sich auch der “Bote” gegen “liberale Kräfte im Land”. Schockiert nahm die Zeitung die 1905 besiegelte Trennung von Kirche und Staat in Frankreich zur Kenntnis: “Das sogenannte katholische Frankreich hat sich seine Metzger selbst gewählt (…)”, kommentierte unsere Zeitung am14. Mai 1905.
Predigten, Reiseberichte, Buntes und Wallfahrt
Selten zeigen die Ausgaben von 1905 bis 1914 Fotografien. Diese waren besonderen Momenten, bzw. Anlässen vorbehalten, wie etwa zu Berichten über die Passionsspiele in Erl 1912 (auf den Bildern sind u.a. die Darstellerin der Gottesmutter und der Darsteller von Jesus zu sehen, als er im Spiel zwei Kinder segnet) oder über die Grundsteinlegung, den Bau und die Weihe der St. Anna Basilika in Altötting 1910 – 1912.
In Deutschland selbst tobte nach wie vor der “Kampf um den rechten Glauben”: Dass der “Bote” in seiner Ausgabe vom 7. Mai 1911 den Protestanten “ein Mutterheimweh nach der Marienverehrung” attestierte und – in einer kleinen Serie in mehreren Ausgaben – einen “Liederkranz von protestantischen Dichtern zu Ehren der Himmelskönigin” veröffentlichte, ist denn auch eher als kleiner Seitenhieb denn als Beitrag zur Ökumene zu verstehen.
Die ökumenische Bewegung steckte damals noch in den Kinderschuhen. Nicht diskutieren, sondern bekehren, war das Credo jener Jahre, das auch den “Boten” zu der Prognose veranlasste, jeden “bibelfesten Protestanten guten Willens im Punkte der Marienverehrung auf unsere Seite herüberziehen” zu können. Heute wissen wir, dass dies nicht ganz so einfach ist, dennoch lesen sich die “Erwägungen über die Marienverehrung” in den Ausgaben im Mai 1905 als eine Anleitung, die auch heute dienlich sein kann. “So wird diejenige geehrt, die auch der König des Himmels geehrt hat”, heißt es dort etwa mit Verweis auf das Evangelium Lk 1,28. Klar differenzierte der “Bote” zwischen Verehrung und Anbetung, und er warnte auch vor Missbräuchen, insbesondere vor den Übertreibungen “überschwänglicher Frommer”.
Derartige Erwägungen sowie die traditionellen Predigten und geistlichen Impulse zu den Sonntagslesungen fanden sich natürlich auch in den Ausgaben zwischen 1905 und 1914. Hinzu kamen Portraits von Heiligen, Erzählungen, Ratgeber, Berichte wie etwa einen über eine Wallfahrt Altötting-Rom, weitere Reiseberichte, die vor allem für einfache Bauersleut’, die nicht viel herumkamen, interessant gewesen sein dürften. Dann natürlich Nachrichten aus aller Welt und viele bunte Meldungen, die nicht selten einen ironischen Unterton hatten. Nett ist etwa eine Meldung im Mai 1908 über zwei Diebe, die einen Musikautomaten in einer Münchner Wirtschaft aufsprengen wollten, diesen aber versehentlich aktivierten: “Es braust ein Ruf wie Donnerhall”, schmetterte es demnach durch den Raum, und die Diebe liefen “schnurstracks in die Arme daherkommender Schutzleute, die sie liebevoll wie Engel nach Nummer Sicher brachten”.
In Altötting selbst war natürlich die Wallfahrt wichtig, deren Zahl gerade um die Jahrhundertwende stark anstieg. Der “Bote” berichtete und schuf mit Unterstützung der Pilger einen “Wallfahrtsanzeiger” für die Leser. Als Symbol der ansteigenden Wallfahrt gilt nicht zuletzt die Errichtung der St. Anna-Basilika 1910-12, über die unsere Zeitung ausführlich berichtete. Papst Pius X. erhob diese 1913 zur “Päpstlichen Basilika” (Basilika minor).
"Der Kirche Reich ist allgemein"
Papst Pius X. starb übrigens am 20. August 1914. Ein Ereignis, das die schrillen Kriegstöne in dieser Zeit in den Hintergrund drängte. Nachfolger Benedikt XV. ging als “Friedenspapst” in die Geschichte ein. In seinem Mahnschreiben “Allorché fummo chiamati” vom 28. Juli 1915 rief er die Nationen dazu auf, “diesem entsetzlichen Blutbad, das seit einem Jahr Europa entehrt, ein Ende zu machen”. Ganz andere Töne als im “Boten” im letzten Halbjahr 1914.
Dass es der “Bote” besser kann, bewies er, als er seinen Bericht über die Feierlichkeiten zum Priesterjubiläum Papst Pius X. 1908 mit folgenden Zeilen schloss: “Was ist der Kirche Vaterland? / Ist’s deutsche Land, ist’s Schwedenland, / Ist’s wo das Zarenreich sich dehnt, / Ist’s wo Lawinensturz erdröhnt? / O nein nein nein! / Ihr Vaterland muss größer sein. // Was ist der Kirche Vaterland? / So nenne endlich mir das Land! / Wo segnend sich das Kreuz erhebt / Und Jesus in den Herzen lebt, / Da muss es sein, / Der Kirche Reich ist allgemein. // Der Erdkreis ist ihr Vaterland, / Doch nein, ihr wahres Heimatland / Ist, “wo in heiliger Majestät / Maria bei dem Sohne steht”. / Dort muss es sein! / O Gott, da führe uns hinein!”
Text: Michael Glaß