Gerade die Söldner hätten es eigentlich wissen müssen: Ist ein Fluss erst einmal zu einem reißenden Strom geworden und über die Ufer getreten, dann kann er ganze Landstriche verwüsten und auch die erfahrensten Reiter mitreißen. Gerade sind die Söldner der schwedisch-französischen Armee über die bayerische Landesgrenze getreten und haben Städte und Dörfer verwüstet.
Viele Schlachten haben die Soldaten geschlagen, auch erfahrene Gegner überwunden. Jetzt, im Juni 1648, sind sie schon seit “über vierzehen wochen an dem Yhn (Inn) gelegen und (haben nach Alt- und Neuötting) vil tausend schüß herübergethan mit solchem gewalt und krachen, daß alhie die häuser und fenster häuffig” zitterten. Die Gewalt der Wasser des Inns konnten sie damit nicht brechen.
Madonna zwischen den dunklen Wolken
Wie Gabriel Küpferle (der Chorherr führte die “Histori”, die Chronik des Jesuitenpaters Irsing fort) weitererzählt, half es den Söldnern nichts, als sie mit “furi und allerhand erdachten kriegslisten (…) den Yhn an vilen orthen” anrannten. Die Armee löst sich auf, der Kreislauf des Wassers bricht den Kreislauf der Gewalt. Dann geben sogar die Feldherrn auf: Die beiden “alten feldmarschalcken Touraine und Wrangel” sollen erklärt haben, “man sehe augenscheinlich, daß sie die schwartze Maria von Alten-Oeting nit hinüberlasse”. Im Dioramenbild des Künstlers Reinhold Zellner schwebt die schwarze Madonna zwischen den dunklen Wolken, direkt über dem tosenden Wasser – mit ernstem, traurigem Blick; vielleicht ist auch ein bisschen Mitleid dabei.
Nur ein Drittel der Bevölkerung überlebte
Auch das Volk sah in Maria den Grund für den Hochwasser führenden Inn, der den Feind nicht hinüberließ. Die Legende von der Altöttinger Gottesmutter, die eine ganze Armee stoppte, breitete sich schnell aus. Dabei war sie eigentlich gar nicht da; schon zum zweiten Mal nach 1632 hatte Kurfürst Maximilian I. das Gnadenbild ins “Salzburger Exil” geschickt. Persönlich brachte der Kurfürst das Gnadenbild von Burghausen nach Salzburg und gab es in die Obhut des Fürsterzbischofs Paris Lodron. Maximilian I. ging auf Nummer Sicher. Wie immer. Vor allem in Kriegszeiten überließ er nichts dem Zufall. “Sein” Söldnerheer hatte der “Generalissimus” Maximilian I. treuen Feldherrn unterstellt und dank einer solide geführten Staatskasse und mit Hilfe einer zuverlässigen Beamtenschaft streng diszipliniert. Diplomatisch geschickt verhandelte der Kurfürst im Sinne bayerischer Interessen und der katholischen Sache. Dennoch: Auch der Kurfürst wurde von einer Welle der Gewalt getroffen, die das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation überrollte. Nach 30 Jahren Krieg, Ende 1648, stand Maximilian I. vor einem verwüsteten Land: Krieg und Seuchen forderten Menschenleben in einem nie dagewesenen Ausmaß. In Süddeutschland überlebte nur etwa ein Drittel der Bevölkerung.
Mit eruptiver Gewalt
Dabei fing alles recht klein an, lokal begrenzt in Böhmen, als innerterritorialer Konflikt zwischen Landständen und Zentralgewalt. Dann eine Provokation: Protestantische Adlige warfen im Mai 1618 zwei Räte des streng katholisch gesinnten österreichischen Erzherzogs und Königs von Böhmen Ferdinand II. aus dem Fenster der Prager Burg. Der Quell des Übels aber war tiefer, all die über Jahre und Jahrzehnte hinweg angestauten Konflikte, die konfessionellen und die noch viel gefährlicheren dynastischen Auseinandersetzungen sprudelten nun an die Oberfläche und brachen aus mit eruptiver Gewalt. Die Einteilung des so genannten Dreißigjährigen Krieges in vier Konflikte – benannt nach den jeweiligen Gegnern des Kaisers und der Habsburger Mächte: in den Böhmisch-Pfälzischen (1618−1623), Dänisch-Niedersächsischen (1623−1629), Schwedischen (1629−1635) und Schwedisch-Französischen Krieg (1635−1648), zeigt auf: Immer mehr Nachbarn zog es hinein in einen Strudel aus Gewalt, sich verschiebender Machtgefüge und erneuter Gewalt.
Viele unterschiedlichen Interessen vermischten sich zu einer Gemengelage, die schon lange zuvor immer wieder zu Konflikten geführt hatte und nun im Krieg nicht mehr zu kontrollieren war: Hier der Streit um die Macht im deutschen Reich zwischen Kaiser und Reichsständen, dort der seit 1516 dauernde Konflikt zwischen dem Haus Habsburg und dem Königreich Frankreich um die Vorherrschaft in Europa. Hier ein konfessionell geteiltes Hl. Römisches Reich Deutscher Nation, dort ein konfessionell gespaltenes Europa, hier die katholische Liga und die protestantische Union im deutschen Reich, dort die katholischen Mächte Spanien, Österreich und Frankreich sowie die protestantischen Mächte Niederlande, Dänemark und Schweden auf europäischer Ebene. Am Ende kam es zu einem europäischen Kräftemessen auf deutschem Boden, zum ersten gesamteuropäischen Krieg, zu einem Krieg, der alle vorherigen Kriege an Intensität weit übertraf. Eine regelrechte Flut von Schlachten ergoss sich über das Hl. Römische Reich Deutscher Nation.
Krieg ohne Sieger
Die Frage der Konfession, die den Krieg ausgelöst hatte, trat mehr und mehr in den Hintergrund und war spätestens im Jahr 1635 verblasst, als das katholische Frankreich nicht mehr nur politisch, sondern nun auch militärisch eingriff – auf der Seite der protestantischen Schweden. Wie komplex die Interessenlage war, zeigt auch das Verhalten Maximilians I.: Als Haupt der katholischen Liga (1608−635) kämpfte er für die konfessionelle Einheit im Reich und trug in den ersten beiden Kriegsphasen maßgeblich zum Sieg der kaiserlich-habsburgischen Partei bei. Andererseits schwächte er als Sprecher der katholischen Reichsstände den Kaiser auf dem Regensburger Kurfürstentag (1630). Unter allen Umständen wollte er eine absolutistische Herrschaft des Kaisers verhindern und die Unabhängigkeit des Herzogtums Bayern wahren. Um die pfälzische Kurfürstenwürde (seit 1623) zu behalten, trat Maximilian I. bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück zwischen 1644 und 1648 als Fürsprecher Frankreichs auf – und dies, obwohl er sich zur gleichen Zeit mit Frankreich im Kriegszustand befand.
Der westfälische Friede schließlich beendete 1648 den Krieg, nicht aber den Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Am Ende konnte sich keine Partei entscheidende Vorteile verschaffen. Das deutsche Reich blieb konfessionell gespalten. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis es sich von den Kriegsfolgen erholte.
Feldherr Tilly in Altötting
Altötting blieb verschont, und doch sind die Spuren des Dreißigjährigen Krieges gerade auch hier zu finden. Als ob sie einen Damm gegen alles Übel aufbauen wollten, brachten Pilger Votivgaben nach Altötting – Gaben, die Geschichte und Geschichten erzählen.
So auch die Geschichte vom starken Glauben des Feldherrn Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559−1632), der treu an der Seite des Kurfürsten kämpfte. Trotz Kriegswirren und Pflichten kam er während des Krieges zweimal nach Altötting: 1624 weihte er der Gottesmutter “aingar ansechlich stattlich ganz guldenes clainodt”, das laut Kapellschatzinventar von 1625 “mit yber einhundert diemantstainen reichlich versötzt” war und rund 9.000 Gulden wert gewesen sein dürfte – Maximilian I. ließ das Kleinod 1637 in die Kronen für das Gnadenbild einarbeiten. Tilly war 1630 ein weiteres Mal in Altötting: Laut Chronist Irsing war er 1630 für drei Tage “von Regensburg nacher Alten-Oetting verreist, allda er sein gewissen erforschet, der andacht abgewartet und einen solchen göttlichen trost empfunden, daß widerumb von dannen abzureisen ihne gleichsamb unmöglich gedunckt hat”. Tilly fiel in der Schlacht bei Rain am Lech 1632, die Schweden rückten derweil nach Bayern vor, nahmen München ein und bedrohten nun auch Altötting.
Pilger kommen trotz "Gnadenbildflucht"
Elisabeth Renata, Gemahlin des Kurfürsten flüchtete im April 1632 das Gnadenbild nach Salzburg. Der Pilgerstrom indes brach nicht ab; im Salzburger Dom “ware ein grosser zulauff des volcks. (…) Man opferte allerlay geschänk und wurde grosse andacht dabey erzeigt und verrichtet.” Altötting wurde verschont und obwohl das Gnadenbild außer Landes war, bezweifelte in Altötting niemand, dass dies “mehrer Unser Lieben Frauen zu Alten-Oetting als dem wasserstrohm (des Inns) und aufgestellter kriegswacht” (Irsing) zuzuschreiben war.
Trotz aller Gefahren und Kriegsnöte kamen laut dem Chronisten Irsing immer wieder Pilger nach Altötting – so zum Beispiel Wilhelm Herb aus Mühlhausen: “(…) von dem schwedischen feindt yberfallen, (…) an einen zaun gestelt, (…) mit schleg und straich und die 20 schüß” traktiert und wider Erwarten genesen, hängte er am 28. Mai 1634 ein Danktäflein an der Heiligen Kapelle auf. Obwohl 1634 die Pest wütete, allein in München 15.000 Menschenleben forderte, erlebte Altötting einen regelrechten Pilgerstrom im Jahr darauf – nach dem Prager Friedenschluss 1635 ging ein Aufatmen durch das Land.
"von den schwedischen gefangen, erbarmlich gemartert, auch in einem kheller an ein fleischramb aufgehenckht"
Nur kurz konnte aufgeatmet werden, dann griffen die Franzosen ein in den Krieg, der die folgenden Jahre aber außerhalb Bayerns tobte. Die Pilgerwege waren wieder frei; 40- bis 50.000 Wallfahrer sollen laut einer Denkschrift im Jahr 1637 nach Altötting gekommen sein. So auch Ulrich Lercher aus Landshut, er opferte laut einer Beilage zu einem Mirakelbuch 1637 eine Votivtafel, weil seine elfjährige Tochter Klara 1634 “von den pferten yberitten und an dem haubt tödtlich verwundt” doch wieder gesundete. 1638 machte Maria Regina Kern eine Dankwallfahrt und brachte eine Opfergabe für ihren Bruder Wolfgang Franziskus Kern, der 1634 “den 22. July zu Landtshuet von den schwedischen gefangen, erbarmlich gemartert, auch in einem kheller an ein fleischramb aufgehenckht” wurde und doch wieder frei gekommen war. Viele weitere Pilger kamen Hilfe suchend und dankend. In Altötting mehrten sich die Gaben, die Lage aber wurde immer unsicherer. Bereits 1641 wurde erneut darüber diskutiert, Gnadenbild und Kapellschatz nach Salzburg zu bringen.
1646 war es dann so weit. Französische und schwedische Truppen drangen durch Franken und Schwaben und besetzten die Donaulinie. Wie 1632 musste Maximilian I. die Landeshauptstadt verlassen, erneut verwüsteten die Söldner-Truppen die Lande zwischen Lech, Isar und Donau. Dörfer brannten, Städte wurden geplündert, Regensburg, Straubing und Landau verwüstet. Der Ulmer Waffenstillstand 1647 sorgte nur kurz für Erleichterung. Das schrecklichste Kriegsjahr für Bayern folgte ein Jahr später. Bis zum Inn zogen sich die bayerischen Truppen zurück, die Städte fielen eine nach der anderen. Erst der Fluss stoppte die Truppen, die aber selbst beim Rückzug nicht aufhörten zu plündern und zu brandschatzen. Im Oktober 1648 war der Dreißigjährige Krieg beendet, Bayern aber im letzten Kriegsjahr verwüstet.
Legende von der "wunderbarliche(n) schiltwacht der (...) starcken Jungkfrawen zu AltenOettingen"
Der Glaube starb nicht, eine Legende machte die Runde, die Legende von der “wunderbarliche(n) schiltwacht der (…) starcken Jungkfrawen zu AltenOettingen”, die ihren “himmelblawen mantel” über den Inn ausbreitete und den Feind in die Flucht schlug.
Auch heute tobt das Leben, es quellt auch so mancher Konflikt. Es sprudeln aber auch die Legenden und mahnen: “Bis hier hin und nicht weiter. Manche Ufer sollte man nicht überschreiten.”
Text: Michael Glaß