Höllenschlund im Gotteshaus

Michael Glaß am 02.06.2020

Errettung aus dem Höllenschlund: Jesus öffnet mit seinem Kreuzstab den Schlund des Ungeheuers, auf dessen Kopf der Teufel selbst steht. Das Bild zeigt ein Fresko aus St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Urschalling.

Die bestens erhaltenen spätgotischen Freskenzyklen an Wänden und Decke der kleinen St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Urschalling haben Weltbedeutung. Vor allem die Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit hat Berühmtheit erlangt. Überlebt hat der Bilderschatz nur, weil die Fresken fast 400 Jahre unter Putzschichten verborgen waren.

Unschein­bar in Weiß steht die klei­ne Dorf­kir­che im Orts­teil Urschal­ling von Prien am Chiem­see mit ihrem Zwie­bel­turm auf einer Anhö­he. Um durch die etwas nied­rig gera­te­ne Ein­gangs­tür tre­ten zu kön­nen, müs­sen sich die meis­ten Besu­cher ein wenig bücken – und bli­cken gleich nach dem Ein­tre­ten in einen Höl­len­schlund (sie­he Bild oben).

Schlichtes Gotteshaus mit großem Bilderschatz: Blick auf die St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Urschalling.

Auf die­ser Dar­stel­lung befreit Chris­tus die Gerech­ten. Er hat mit sei­nem Kreuz­stab den Rachen des zäh­ne­flet­schen­den Unge­heu­ers geöff­net und ergreift die Hän­de zwei­er Män­ner. Der mit dem Nim­bus ist Johan­nes der Täu­fer, gefolgt von Adam und Eva“, erklärt Kir­chen­füh­re­rin Hel­ga Schöm­mer den über­rasch­ten Besu­chern. Tat­säch­lich war­tet die rund 900 Jah­re alte katho­li­sche Pfarr­kir­che St. Jako­bus in Urschal­ling bei Prien am Chiem­see – nur fünf Minu­ten von der A8 ent­fernt – mit ein­zig­ar­ti­gen spät­go­ti­schen Fres­ken auf, mit denen die roma­ni­sche Kir­che fast voll­stän­dig aus­ge­malt ist.

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Die "Marienseite" der Ausgabe Nr. 23-2020 des Altöttinger Liebfrauenboten zeigt ein Fresko aus der St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Urschalling.

Die Kir­che war Teil einer Burg­an­la­ge, die die Gra­fen von Fal­ken­stein zwi­schen 1158 und 1200 anleg­ten. Da der hei­li­ge Jako­bus auch Schutz­hei­li­ger der Fal­ken­stei­ner war, wur­de die Kir­che ihm geweiht. Die ein­schif­fi­ge und zwei­jochi­ge Kir­che mit Apsis hat ein Gewöl­be und aus die­sem Grund dicke Außen­mau­ern, die jeden Umbau der Kir­che sehr auf­wän­dig mach­ten. So über­dau­er­te das Got­tes­haus die Jahr­hun­der­te nahe­zu unver­än­dert, und ich kann sie Ihnen heu­te in die­ser Pracht prä­sen­tie­ren“, infor­miert Orts- und Gäs­te­füh­re­rin Schöm­mer ihre stau­nen­den Besu­cher, die der­weil stän­dig die Häl­se recken und ihre Augen nicht von den wun­der­schö­nen Male­rei­en abwen­den kön­nen, etwa von einer Dar­stel­lung von Adam und Eva wäh­rend des Sün­den­falls. Die­ses Fres­ko ent­stand bereits in der Roma­nik, mit­hin in der zwei­ten Hälf­te des 12. Jahr­hun­derts. Damals wur­den nur das öst­li­che Joch und die Apsis aus­ge­malt. Davon sind heu­te die Abbil­dun­gen von Adam und Eva kom­plett frei­ge­legt“, erklärt die Ken­ne­rin und weist auf die spie­gel­bild­li­che Dar­stel­lung der bei­den Men­schen unter den hän­gen­den Ästen, den sti­li­sier­ten Früch­ten oder Blät­tern hin, die durch den Baum von­ein­an­der getrennt und durch die Äste zugleich ver­bun­den sind.

Der Farb- und Bilderreichtum der Kirche ist groß

Die erst 1941 unter einer Putzschicht entdeckten und seitdem mehrfach restaurierten Freskenzyklen in St. Jakobus in Urschalling bei Prien am Chiemsee zählen zu den am besten erhaltenen der Gotik in Oberbayern.

Erst im Barock wur­de in das Erschei­nungs­bild des Got­tes­hau­ses ein­ge­grif­fen. Die Kir­che erhielt 1711 einen klei­nen Turm mit Zwie­bel­hau­be, die ers­te roma­ni­sche Bema­lung im Innern wur­de über­tüncht und in die Außen­wän­de wur­den grö­ße­re Fens­ter ein­ge­bro­chen. Ende des 14. Jahr­hun­derts ent­stand dann ein goti­scher Zyklus, der eben­falls über­tüncht wur­de. 1941 ent­deck­te man die sel­te­nen Male­rei­en unter der Putz­schicht wie­der. Seit­her wur­den sie mehr­fach restau­riert und gel­ten heu­te als die am bes­ten erhal­te­nen Fres­ken­zy­klen der Gotik in Oberbayern.

Der Farb- und Bil­der­reich­tum der Kir­che ist groß: Von den Wän­den und Decken bli­cken dem Besu­cher zahl­rei­che bibli­sche Figu­ren und Hei­li­ge ent­ge­gen, gezeich­net in war­men Erd­far­ben – von Adam und Eva über die Mär­ty­rer Lau­ren­ti­us und Ste­pha­nus bis hin zur Mut­ter­got­tes mit dem Christuskind.

„Das Dreifaltigkeitsfresko von Urschalling hat Weltbedeutung“

Von Weltbedeutung ist in der St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Urschalling das Dreifaltigkeitsfresko, auf dem der Heilige Geist in der Mitte von Gottvater und Jesus Christus als junge Person mit weiblichen Zügen abgebildet ist.

Die wohl größ­te Auf­merk­sam­keit aber erregt ein Fres­ko in der unte­ren Spit­ze eines Gewöl­be­zwi­ckels. Das Drei­fal­tig­keits­fres­ko von Urschal­ling hat Welt­be­deu­tung“, erklärt Hel­ga Schöm­mer stolz. Dar­ge­stellt ist die hei­li­ge Drei­fal­tig­keit als Per­son mit drei Gesich­tern und drei Ober­kör­pern. Nach unten ver­schmel­zen die drei Kör­per zu einem ein­zi­gen. Umstrit­ten ist die Deu­tung der mitt­le­ren Gestalt: Zwi­schen dem weiß­bär­ti­gen Greis, einer Dar­stel­lung von Gott­va­ter, und einer Dar­stel­lung von Jesus als bär­ti­gen Mann zur Lin­ken befin­det sich die Ver­kör­pe­rung des Hei­li­gen Geis­tes. Durch sein run­des und bart­lo­ses Gesicht mit lan­gem hell­brau­nem Haar ist unklar, ob es sich bei die­ser Gestalt um eine Frau han­delt oder, inner­halb des klas­si­schen Greis-Mann-Jüng­ling-Sche­mas, um einen sehr jun­gen Mann. Kunst­ex­per­ten sind fas­zi­niert von den weib­li­chen Zügen die­ser Gestalt, und man­che von ihnen sehen dar­in einen Hin­weis auf die weib­li­che Sei­te Gottes.

In der Apsis thront Christus

Der Innenraum von St. Jakobus in Urschalling bei Prien am Chiemsee ist überreich ausgemalt – ob im Altarraum oder an den Gewölbebögen.

In der Apsis thront Chris­tus, die Rech­te seg­nend erho­ben, mit der Lin­ken das Evan­ge­li­um hal­tend, die Wund­ma­le an Hän­den und Füßen zei­gend“, setzt die Gäs­te­füh­re­rin ihren fach­kun­di­gen Vor­trag in der Kir­che fort. Um Chris­tus schwe­ben geflü­gel­te Sym­bo­le der Evan­ge­lis­ten. Dar­un­ter sit­zen die zwölf Apos­tel mit ihren Attri­bu­ten in den Hän­den. Links sitzt Simon der Eife­rer mit Buch und Säge, Judas Thad­dä­us mit Buch und Beil, Tho­mas mit einer Lan­ze, Andre­as mit einem Kreuz und Petrus mit dem Schlüs­sel. Rechts neben dem Fens­ter thro­nen Johan­nes mit einem Kelch, Jako­bus der Älte­re mit Pil­ger­stab und Jakobs­mu­schel, Bar­tho­lo­mä­us mit Buch und Mes­ser, Jako­bus der Jün­ge­re mit einem Woll­bo­gen und Phil­ip­pus mit einem Buch und Gabelkreuz.

Die Apos­tel wir­ken dabei weni­ger wie Bei­sit­zer am Gericht, son­dern dis­ku­tie­ren ange­regt. Über ihnen auf dem Bogen der Apsis schwe­ben die Zehn Jung­frau­en als Halb­fi­gu­ren. Sie wei­sen mit der Hand auf ihren Herrn, der in Apsis thront. Oder sie zei­gen auf sich selbst, wen­den sich von Chris­tus ab und hal­ten das lee­re Gefäß nach unten“, erklärt Frau Schöm­mer und ent­lässt die Besu­cher, die beim Ver­las­sen der Kir­che erneut demü­tig das Haupt sen­ken müssen.

Text: Peter Bey­er (Sto­ry­ma­cher / STM)

Kir­chen­füh­run­gen in Urschal­ling sind lei­der auf­grund der Coro­na-Schutz­maß­nah­men bis auf wei­te­res nicht mög­lich. Inter­es­sen­ten wen­den sich bezüg­lich mög­li­cher Ände­run­gen Ende Juni an Gäs­te­füh­re­rin Hel­ga Schöm­mer, Tel. 08051 5130 oder 0171 8810912. Sie bie­tet Füh­run­gen vor Ort an (Dau­er unge­fähr eine Stun­de) sowie Wan­de­run­gen zur Kir­che mit anschlie­ßen­der Füh­rung. Da der Fres­ken­zy­klus so umfang­reich ist, bie­tet Hel­ga Schöm­mer gewöhn­lich dar­über hin­aus drei- bis vier­mal im Jahr eine Ergän­zungs­füh­rung an.

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