„Glauben verleiht mir Ruhe“ – Ein Porträt über den "Glaskünstler" Sigi Franz – Ausstellung in Altötting

Da sitzt er nun in seiner Höhle, wie Sigi Franz seine „Austragswerkstatt“ nennt – den schmalen Gewölbeschlauch eines ehemaligen Kinos in der Burghauser Altstadtgasse „Grüben“. Nebenan arbeiten sein Sohn und dessen Partner im geräumigen „Glaspunkt“-Atelier. Geplant war ein Interview, über Glaskunst und seine Ausstellung „Gläserne Seele“ in der Altöttinger Stadtgalerie (siehe unten). Es wurde ein Gespräch über, ja: Gott und die Welt.
Ein gewöhnliches Interview kann man mit Sigi Franz nicht führen. Ganz einfach, weil Sigi Franz kein gewöhnlicher Mensch ist. Mit nacktem Oberkörper, Rauschbart und langen, hinter dem Kopf zusammengebundenen Haaren empfängt der 56-Jährige den Besucher. Er zündet sich erst einmal eine selbstgedrehte Zigarette am Bunsenbrenner an, lächelt breit – und ist dann bereit fürs Gespräch. Wer nun auf den ersten Blick denkt, es mit einem Raubein zu tun zu haben, wird schnell eines Besseren belehrt. Sigi Franz ist ein feinsinniger Freigeist, der mit großer Leichtigkeit dem zerbrechlichen Material Glas verblüffend zartgliedrige und oftmals tiefgründige Kunstwerke entlockt. Ganz Freigeist, lässt er sich in keine Schublade einordnen. Und dennoch verfügt er über einen klaren Kompass, dessen Fundamente in der christlichen Religion liegen.
Der erste Blick täuscht. Genau das ist unterschwellig ein großes Lebensthema von Sigi Franz. Er wirbt für mehr Achtsamkeit im Miteinander: „Wir sind zu Konsumenten erzogen worden. Wenn wir aus unserer Bequemlichkeit uns nur einen Moment herausbewegen, auf einen anderen zugehen – dann eröffnet sich eine schier unglaubliche Welt.“ Man bekomme so viel zurück, wenn man sich auf einen Dialog mit jemand Unbekanntem einlasse, daraus könne so viel entstehen. Achtsam sein bedeutet für Sigi Franz: Nachfragen (Was ist los? Warum schaust du?) – nicht nur beobachten, konsumieren. Dabei könne auch die Religion helfen, indem sie Achtsamkeit vorlebt („da sein für andere“) und Orientierung bietet.
„Was es braucht – und da bin ich wieder bei der Kirche –, ist diese mahnende Instanz, die immer wieder wie eine Mama oder ein Papa sagt: Mach das nicht. Bleib auf dem Weg.“
Achtsamkeit ist ein Lebensthema von Sigi Franz

Ausgerechnet die Religion … Denn mit ihr verbindet Sigi Franz eine wechselvolle Geschichte. Aufgewachsen in einem katholischen Kinderheim in Altötting, zehrt er noch heute von dem Miteinander („es war immer die Gemeinschaft, die zählt“) und den Werten, die ihm insbesondere Schwester Sieglinde mit auf den Weg gegeben hatte. Doch als Sigi als Jugendlicher seinen eigenen Wertekanon entwickelt, sich seine eigenen Gedanken gemacht habe, wie Religion und Gesellschaft zusammenhängen, hat er „mit dem Bodenpersonal“ zunehmend Probleme bekommen: „Die Botschaft, die ich als Kind gelernt habe, wird sehr verfremdet, benutzt, instrumentalisiert.“ Mit 22 Jahren tritt er schließlich aus der Kirche aus. Typisch Künstler, Freigeist, möchte man meinen. Doch Sigis Geschichte mit der Religion ist hier noch lange nicht zu Ende.
Im September 2008 wird sein Sohn Alex auf dem Fahrrad von einem betrunkenen Autofahrer gerammt und ist auf der Stelle tot. Ein Ereignis, das den Vater beinahe komplett aus der Bahn geworfen hätte. Doch er macht eine tiefgreifende Erfahrung: „Als mein Sohn gestorben ist, hab ich erlebt, wie das ganze Dorf hinter mir gestanden ist und Anteil genommen hat. Der Katechet (Gemeindereferent) Heinrich Maier, Pfarrer Heribert Schauer, die haben sich sowas von um mich und meine Familie gekümmert.“ Er habe eine trauernde Frau und ein trauerndes Kind zuhause gehabt – und doch die Werkstatt weiterbetreiben müssen. „In dem Spannungsfeld hab ich mich leichter getan, weil ich gewusst habe: zuhause wird geschaut.“ Das sei für ihn ein Aha-Erlebnis gewesen. Noch vor der Beerdigung ist Sigi Franz zum Gemeindereferenten gegangen und hat ihn um Hilfe gebeten: „Ich möchte wieder in die Kirche“. Er habe verstanden, dass es immer ein Geben und Nehmen ist und die Kirche unterstützt werden muss – bildlich gesprochen wie ein Clubmitglied beim ADAC.
Glaskünstler Sigi Franz – Impressionen aus der Werkstatt und dem "Glaspunkt"-Atelier
Seinen Glauben hatte er ohnehin nie verloren, auch wenn er ihn auf seine eigene Art interpretiert. Er sagt: „Ich bin gläubiger Christ – ich glaube, dass es da eine Institution gibt, die vielleicht die Schicksalsfäden spinnt, das man eine Aufgabe hat, dass das Leben einen tieferen Sinn hat als nur Geld zu verdienen.“ Seine Aufgabe sei es vielleicht, den Schmerz über den Verlust des Sohnes auszuhalten und als Lernbeispiel zu dienen, dass man an so einem Schicksalsschlag nicht kaputtgehen muss. Er habe durch dieses Ereignis noch mehr Egoismus verloren. Und dann sagt Sigi Franz einen wunderschönen Satz: „Das Leben wird nur lebenswert, wenn man sorgen darf, wenn man das Privileg hat, etwas weitergeben zu dürfen.“ Und weiter: „Ich fühle mich sehr privilegiert, weil ich glauben darf, weil ich glauben kann und mein Leben danach ausrichte – das verleiht mir Ruhe und Gelassenheit.“
Sigi Franz: Impressionen aus der Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting (siehe auch Infos unten)
Sigi Franz ist ein tiefgründiger Suchender. Er beschäftigt sich viel mit den Themen Spiritualität, Hirnforschung und Neurowissenschaften. „Alles was wir erleben, passiert oben im Hirn“, bekräftigt er einerseits. Und andererseits: „Das wichtigste ist, den Anker in dir selbst zu finden. Die Würde sagt dir, wer du bist. Das ist das, was jeder Mensch finden soll.“ Die Hirnforschung habe bewiesen, dass man einen Lernstoff am leichtesten aufnehme, wenn man Emotionen damit verbinde. „Alles, was man wirklich lernt, hat mit dem Gefühl zu tun, das man damit verbindet.“ Das gelte auch für Ereignisse wie Erstkommunion, Firmung, Beerdigung – alles habe mit Gefühl zu tun. Hier schließt sich der Kreis zur Altöttinger Ausstellung: „Das versuche ich in der Ausstellung zu zeigen: Gefühl und Ratio, das muss wieder enger zusammen geführt werden. Wir haben es immer getrennt.“ Er nennt „saublöde Sprüche“ wie „Jungs weinen nicht“ oder „ein Indianer kennt keinen Schmerz“. „Ich liebe Menschen, die Gefühle zeigen und ausleben. Wir haben es die letzten 20 Jahre aberzogen bekommen. Ich möchte Gefühl und Verstand wieder näher zusammenbringen, deswegen habe ich auch die Ausstellung gemacht.“
Genau das – Herz und Hirn – verbindet er in vielen seiner Glaskunstwerke. Der Körper lerne nicht nur im Kopf, sondern in jeder Zelle. Hirn und Emotionen dürfe man nicht trennen – und damit ende es auch nicht. Jede Zelle von uns sei ein Teil von allem – alles hänge mit allem zusammen.
Gibt es höhere Mächte, Sigi? „Ja, die gibt es!“ Lange Zeit sei er beispielsweise verzweifelt gewesen, weil er seinen Sohn nicht mehr habe spüren dürfen, nicht mehr mit ihm habe reden können, nichts mehr zurückgekommen sei. Es sei ein langer Weg gewesen, aber: „Jetzt funktioniert das hervorragend! Ich habe verstanden, dass er in dem großen Ganzen ist.“
Text und Fotos: Wolfgang Terhörst
Die Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting
Der Glaskünstler Sigi Franz, der buchstäblich mit Feuer und Flamme seinen Beruf ausübt, zeigte bereits in zahlreichen Ausstellungen weltweit seine einzigartigen Kunstwerke. Seine Leidenschaft für das alte Handwerk weiterzugeben ist ihm eine Herzensangelegenheit.
Glas ist ein Werkstoff, der in vielfältiger Form als Gebrauchsgegenstand und Objekt überall gegenwärtig ist. Aus den natürlichen Stoffen Kalk, Soda und Sand bestehend, im Feuer geschmolzen, mit Luft geformt und im Wasser erstarrt, entsteht eine Verbindung aus den vier Elementen. Die Elemente selbst bilden die Grundlage des Lebens und mit ihren sinnlichen, symbolischen, kosmischen und materiellen Qualitäten faszinieren sie den Menschen auf vielfältige Art und Weise. Die Stadtgalerie Altötting zeigt einen Querschnitt der Arbeiten von Sigi Franz. Die Retrospektive beleuchtet nicht nur ein Lebenswerk, sondern sie leuchtet die starke Persönlichkeit dahinter aus. Sigi Franz formt in der Hitze ein zerbrechliches Material, der Glaskünstler selbst lässt sich nicht verformen, steht zu seiner Lebenseinstellung und zu seiner Haltung.
Stadtgalerie Altötting, Papst-Benedikt-Platz 3, 84503 Altötting, bis 22. August. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 14:00 — 17:00 Uhr, Sonntag/Feiertag 11:00 — 16:00 Uhr. Eintritt: Erwachsene 3,00 €, Ermäßigt 1,50 €.