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„Glauben verleiht mir Ruhe“ – Ein Porträt über den "Glaskünstler" Sigi Franz – Ausstellung in Altötting

Redaktion am 10.08.2021

2021 08 10 aoelfb sigi franz porträt Foto: Wolfgang Terhörst
Ein feinsinniger Freigeist: Mit großem Können und großer Leidenschaft erschafft Sigi Franz in seiner Burghauser Werkstatt immer neue Kunstwerke aus Glas – ob aus eigenem Antrieb oder im Kundenauftrag. Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Freunden und Fremden nimmt er sich dabei immer.

Da sitzt er nun in seiner Höhle, wie Sigi Franz seine „Austragswerkstatt“ nennt – den schmalen Gewölbeschlauch eines ehemaligen Kinos in der Burghauser Altstadtgasse „Grüben“. Nebenan arbeiten sein Sohn und dessen Partner im geräumigen „Glaspunkt“-Atelier. Geplant war ein Interview, über Glaskunst und seine Ausstellung „Gläserne Seele“ in der Altöttinger Stadtgalerie (siehe unten). Es wurde ein Gespräch über, ja: Gott und die Welt.

Ein gewöhn­li­ches Inter­view kann man mit Sigi Franz nicht füh­ren. Ganz ein­fach, weil Sigi Franz kein gewöhn­li­cher Mensch ist. Mit nack­tem Ober­kör­per, Rausch­bart und lan­gen, hin­ter dem Kopf zusam­men­ge­bun­de­nen Haa­ren emp­fängt der 56-Jäh­ri­ge den Besu­cher. Er zün­det sich erst ein­mal eine selbst­ge­dreh­te Ziga­ret­te am Bun­sen­bren­ner an, lächelt breit – und ist dann bereit fürs Gespräch. Wer nun auf den ers­ten Blick denkt, es mit einem Rau­bein zu tun zu haben, wird schnell eines Bes­se­ren belehrt. Sigi Franz ist ein fein­sin­ni­ger Frei­geist, der mit gro­ßer Leich­tig­keit dem zer­brech­li­chen Mate­ri­al Glas ver­blüf­fend zart­glied­ri­ge und oft­mals tief­grün­di­ge Kunst­wer­ke ent­lockt. Ganz Frei­geist, lässt er sich in kei­ne Schub­la­de ein­ord­nen. Und den­noch ver­fügt er über einen kla­ren Kom­pass, des­sen Fun­da­men­te in der christ­li­chen Reli­gi­on liegen.

Der ers­te Blick täuscht. Genau das ist unter­schwel­lig ein gro­ßes Lebens­the­ma von Sigi Franz. Er wirbt für mehr Acht­sam­keit im Mit­ein­an­der: Wir sind zu Kon­su­men­ten erzo­gen wor­den. Wenn wir aus unse­rer Bequem­lich­keit uns nur einen Moment her­aus­be­we­gen, auf einen ande­ren zuge­hen – dann eröff­net sich eine schier unglaub­li­che Welt.“ Man bekom­me so viel zurück, wenn man sich auf einen Dia­log mit jemand Unbe­kann­tem ein­las­se, dar­aus kön­ne so viel ent­ste­hen. Acht­sam sein bedeu­tet für Sigi Franz: Nach­fra­gen (Was ist los? War­um schaust du?) – nicht nur beob­ach­ten, kon­su­mie­ren. Dabei kön­ne auch die Reli­gi­on hel­fen, indem sie Acht­sam­keit vor­lebt („da sein für ande­re“) und Ori­en­tie­rung bietet.

Was es braucht – und da bin ich wie­der bei der Kir­che –, ist die­se mah­nen­de Instanz, die immer wie­der wie eine Mama oder ein Papa sagt: Mach das nicht. Bleib auf dem Weg.“

Achtsamkeit ist ein Lebensthema von Sigi Franz

2021 08 10 aoelfb sigi franz lacht Foto: Wolfgang Terhörst
Ein feinsinniger Freigeist: Mit großem Können und großer Leidenschaft erschafft Sigi Franz in seiner Burghauser Werkstatt immer neue Kunstwerke aus Glas – ob aus eigenem Antrieb oder im Kundenauftrag. Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Freunden und Fremden nimmt er sich dabei immer.

Aus­ge­rech­net die Reli­gi­on … Denn mit ihr ver­bin­det Sigi Franz eine wech­sel­vol­le Geschich­te. Auf­ge­wach­sen in einem katho­li­schen Kin­der­heim in Alt­öt­ting, zehrt er noch heu­te von dem Mit­ein­an­der („es war immer die Gemein­schaft, die zählt“) und den Wer­ten, die ihm ins­be­son­de­re Schwes­ter Sieg­lin­de mit auf den Weg gege­ben hat­te. Doch als Sigi als Jugend­li­cher sei­nen eige­nen Wer­te­ka­non ent­wi­ckelt, sich sei­ne eige­nen Gedan­ken gemacht habe, wie Reli­gi­on und Gesell­schaft zusam­men­hän­gen, hat er mit dem Boden­per­so­nal“ zuneh­mend Pro­ble­me bekom­men: Die Bot­schaft, die ich als Kind gelernt habe, wird sehr ver­frem­det, benutzt, instru­men­ta­li­siert.“ Mit 22 Jah­ren tritt er schließ­lich aus der Kir­che aus. Typisch Künst­ler, Frei­geist, möch­te man mei­nen. Doch Sigis Geschich­te mit der Reli­gi­on ist hier noch lan­ge nicht zu Ende.

Im Sep­tem­ber 2008 wird sein Sohn Alex auf dem Fahr­rad von einem betrun­ke­nen Auto­fah­rer gerammt und ist auf der Stel­le tot. Ein Ereig­nis, das den Vater bei­na­he kom­plett aus der Bahn gewor­fen hät­te. Doch er macht eine tief­grei­fen­de Erfah­rung: Als mein Sohn gestor­ben ist, hab ich erlebt, wie das gan­ze Dorf hin­ter mir gestan­den ist und Anteil genom­men hat. Der Kate­chet (Gemein­de­re­fe­rent) Hein­rich Mai­er, Pfar­rer Heri­bert Schau­er, die haben sich sowas von um mich und mei­ne Fami­lie geküm­mert.“ Er habe eine trau­ern­de Frau und ein trau­ern­des Kind zuhau­se gehabt – und doch die Werk­statt wei­ter­be­trei­ben müs­sen. In dem Span­nungs­feld hab ich mich leich­ter getan, weil ich gewusst habe: zuhau­se wird geschaut.“ Das sei für ihn ein Aha-Erleb­nis gewe­sen. Noch vor der Beer­di­gung ist Sigi Franz zum Gemein­de­re­fe­ren­ten gegan­gen und hat ihn um Hil­fe gebe­ten: Ich möch­te wie­der in die Kir­che“. Er habe ver­stan­den, dass es immer ein Geben und Neh­men ist und die Kir­che unter­stützt wer­den muss – bild­lich gespro­chen wie ein Club­mit­glied beim ADAC.

Glaskünstler Sigi Franz – Impressionen aus der Werkstatt und dem "Glaspunkt"-Atelier

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Glaskunst: Sigi Franz bei der Arbeit.
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„Glaspunkt“ Burghausen: Blick auf die Werkstattuhr von Sigi Franz.
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„Glaspunkt“ Burghausen: Auch Bob Marley darf in der Werkstatt von Sigi Franz nicht fehlen.
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Sigi Franz: Blick in das „Glaspunkt“-Atelier in Burghausen.

Sei­nen Glau­ben hat­te er ohne­hin nie ver­lo­ren, auch wenn er ihn auf sei­ne eige­ne Art inter­pre­tiert. Er sagt: Ich bin gläu­bi­ger Christ – ich glau­be, dass es da eine Insti­tu­ti­on gibt, die viel­leicht die Schick­sals­fä­den spinnt, das man eine Auf­ga­be hat, dass das Leben einen tie­fe­ren Sinn hat als nur Geld zu ver­die­nen.“ Sei­ne Auf­ga­be sei es viel­leicht, den Schmerz über den Ver­lust des Soh­nes aus­zu­hal­ten und als Lern­bei­spiel zu die­nen, dass man an so einem Schick­sals­schlag nicht kaputt­ge­hen muss. Er habe durch die­ses Ereig­nis noch mehr Ego­is­mus ver­lo­ren. Und dann sagt Sigi Franz einen wun­der­schö­nen Satz: Das Leben wird nur lebens­wert, wenn man sor­gen darf, wenn man das Pri­vi­leg hat, etwas wei­ter­ge­ben zu dür­fen.“ Und wei­ter: Ich füh­le mich sehr pri­vi­le­giert, weil ich glau­ben darf, weil ich glau­ben kann und mein Leben danach aus­rich­te – das ver­leiht mir Ruhe und Gelassenheit.“

Sigi Franz: Impressionen aus der Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting (siehe auch Infos unten)

2021 08 10 aoelfb sigi franz glaeserne madonna
Sigi Franz: Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting. Gnadenbild aus Glas: Eigens für die Altöttinger Rückschau auf sein Lebenswerk hat Sigi Franz eine Replik der Altöttinger Schwarzen Madonna aus Glas geschaffen – unverkennbar und doch mit ganz eigenem Charakter. Der Künstler hat einen starken Bezug zum Gnadenort.
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Sigi Franz: Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting. "Sensenengel".
2021 08 10 aoelfb sigi franz glasengel
Sigi Franz: Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting. "Glasengel".
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Sigi Franz: Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting. "Herzschädel".

Sigi Franz ist ein tief­grün­di­ger Suchen­der. Er beschäf­tigt sich viel mit den The­men Spi­ri­tua­li­tät, Hirn­for­schung und Neu­ro­wis­sen­schaf­ten. Alles was wir erle­ben, pas­siert oben im Hirn“, bekräf­tigt er einer­seits. Und ande­rer­seits: Das wich­tigs­te ist, den Anker in dir selbst zu fin­den. Die Wür­de sagt dir, wer du bist. Das ist das, was jeder Mensch fin­den soll.“ Die Hirn­for­schung habe bewie­sen, dass man einen Lern­stoff am leich­tes­ten auf­neh­me, wenn man Emo­tio­nen damit ver­bin­de. Alles, was man wirk­lich lernt, hat mit dem Gefühl zu tun, das man damit ver­bin­det.“ Das gel­te auch für Ereig­nis­se wie Erst­kom­mu­ni­on, Fir­mung, Beer­di­gung – alles habe mit Gefühl zu tun. Hier schließt sich der Kreis zur Alt­öt­tin­ger Aus­stel­lung: Das ver­su­che ich in der Aus­stel­lung zu zei­gen: Gefühl und Ratio, das muss wie­der enger zusam­men geführt wer­den. Wir haben es immer getrennt.“ Er nennt sau­blö­de Sprü­che“ wie Jungs wei­nen nicht“ oder ein India­ner kennt kei­nen Schmerz“. Ich lie­be Men­schen, die Gefüh­le zei­gen und aus­le­ben. Wir haben es die letz­ten 20 Jah­re aberzo­gen bekom­men. Ich möch­te Gefühl und Ver­stand wie­der näher zusam­men­brin­gen, des­we­gen habe ich auch die Aus­stel­lung gemacht.“ 

Genau das – Herz und Hirn – ver­bin­det er in vie­len sei­ner Glas­kunst­wer­ke. Der Kör­per ler­ne nicht nur im Kopf, son­dern in jeder Zel­le. Hirn und Emo­tio­nen dür­fe man nicht tren­nen – und damit ende es auch nicht. Jede Zel­le von uns sei ein Teil von allem – alles hän­ge mit allem zusammen. 

Gibt es höhe­re Mäch­te, Sigi? Ja, die gibt es!“ Lan­ge Zeit sei er bei­spiels­wei­se ver­zwei­felt gewe­sen, weil er sei­nen Sohn nicht mehr habe spü­ren dür­fen, nicht mehr mit ihm habe reden kön­nen, nichts mehr zurück­ge­kom­men sei. Es sei ein lan­ger Weg gewe­sen, aber: Jetzt funk­tio­niert das her­vor­ra­gend! Ich habe ver­stan­den, dass er in dem gro­ßen Gan­zen ist.“

Text und Fotos: Wolf­gang Terhörst

Die Ausstellung „Gläserne Seele“ in Altötting

Der Glas­künst­ler Sigi Franz, der buch­stäb­lich mit Feu­er und Flam­me sei­nen Beruf aus­übt, zeig­te bereits in zahl­rei­chen Aus­stel­lun­gen welt­weit sei­ne ein­zig­ar­ti­gen Kunst­wer­ke. Sei­ne Lei­den­schaft für das alte Hand­werk wei­ter­zu­ge­ben ist ihm eine Herzensangelegenheit.

Glas ist ein Werk­stoff, der in viel­fäl­ti­ger Form als Gebrauchs­ge­gen­stand und Objekt über­all gegen­wär­tig ist. Aus den natür­li­chen Stof­fen Kalk, Soda und Sand bestehend, im Feu­er geschmol­zen, mit Luft geformt und im Was­ser erstarrt, ent­steht eine Ver­bin­dung aus den vier Ele­men­ten. Die Ele­men­te selbst bil­den die Grund­la­ge des Lebens und mit ihren sinn­li­chen, sym­bo­li­schen, kos­mi­schen und mate­ri­el­len Qua­li­tä­ten fas­zi­nie­ren sie den Men­schen auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se. Die Stadt­ga­le­rie Alt­öt­ting zeigt einen Quer­schnitt der Arbei­ten von Sigi Franz. Die Retro­spek­ti­ve beleuch­tet nicht nur ein Lebens­werk, son­dern sie leuch­tet die star­ke Per­sön­lich­keit dahin­ter aus. Sigi Franz formt in der Hit­ze ein zer­brech­li­ches Mate­ri­al, der Glas­künst­ler selbst lässt sich nicht ver­for­men, steht zu sei­ner Lebens­ein­stel­lung und zu sei­ner Haltung.

Stadt­ga­le­rie Alt­öt­ting, Papst-Bene­dikt-Platz 3, 84503 Alt­öt­ting, bis 22. August. Öff­nungs­zei­ten: Mitt­woch bis Sams­tag 14:00 — 17:00 Uhr, Sonntag/​Feiertag 11:00 — 16:00 Uhr. Ein­tritt: Erwach­se­ne 3,00 €, Ermä­ßigt 1,50 €.

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