„Alle Menschen haben Sehnsucht nach Christus“ – Prälat Günther Mandl, der langjährige Altöttinger Wallfahrtsrektor, im Interview

In den fast zwanzig Jahren seines Wirkens in Altötting war Prälat Günther Mandl Stadtpfarrer, Stiftspropst, Dekan und seit 2014 auch Administrator der Heiligen Kapelle und Wallfahrtsrektor. Am 1. September tritt er nun seinen wohlverdienten Ruhestand an. Im Interview mit dem Liebfrauenboten erinnert sich der beliebte Geistliche an Anfänge wie Höhepunkte und wagt einen Blick in die Zukunft.
Lieber Prälat Mandl, nach 18 Jahren in vielen verantwortlichen und verantwortungsvollen Positionen am Gnadenort Altötting: überwiegt die Erleichterung oder die Wehmut?
Mandl: Statt Erleichterung und Wehmut möchte ich den Begriff Dankbarkeit gebrauchen: Alles war letztlich Gnade und Geschenk, göttliche Vorsehung und Fügung.
Mit 74 Jahren sind die meisten längst im Ruhestand. Was haben Sie sich für den neuen Lebensabschnitt vorgenommen – eher die Gartenliege, die es zum Abschied gab, oder eher das Fahrrad?
Mandl: Die Gartenliege, die mir der Caritasverband zum Abschied geschenkt hat, wird mir gute Dienste beim Ausruhen erweisen aber auch mein viel geliebtes Fahrrad, das seit Kaplanzeiten untrennbar zu mir gehört und mich gesundheitsförderlich an meine Ziele bringt. Das Lesen kam in den letzten Jahren zu kurz: Viele Bücher warten darauf, von mir ergründet zu werden; dasselbe gilt für mehrere CDs. Auch das Reisen hat eigentlich nicht stattgefunden: Im Urlaub machte ich immer eine Kneipp-Kur, um wieder Kraft zu schöpfen für meine vielen Verpflichtungen und Termine.
„Besonders kostbar waren mir die vielen Begrüßungen der Pilgergruppen“

Das Ende ihrer Amtszeit war durch die beispiellose Corona-Krise geprägt – ausgerechnet im Wallfahrtsort Altötting, der von seiner Offenheit lebt, mussten während des Lockdowns buchstäblich die Kirchentüren verschlossen werden. Wie sehr hat sie das geschmerzt?
Mandl: Die Corona-Krise erreichte ihren Höhepunkt kurz nach meinem Umzug vom Pfarrhof in mein Ruhestandshaus: Das ganze öffentliche Leben wurde auf ein Minimum heruntergefahren, so auch das kirchlich-liturgische Programm. Wir haben dann kurzfristig eine rund um die Uhr gesendete Livestream-Übertragung aus der Gnadenkapelle eingerichtet, die weit über Deutschland hinaus gläubige, suchende, vor allem aber bedrängte Menschen aufrichtete, tröstete und mit Zuversicht erfüllte. Wenn Ihr nicht zur Gnadenmutter kommen könnt, dann kommt sie eben zu Euch ins Wohnzimmer als Fürsprecherin und Knotenlöserin, sagte ich immer wieder zu den vielen Mitfeiernden am Bildschirm; darüber hinaus setzten wir nachts das Allerheiligste zur Anbetung aus.
Wenn Sie zurückschauen, was waren die schwierigsten Entscheidungen und die bewegendsten Erlebnisse als Hüter Unserer Lieben Frau?
Mandl: Das Wichtigste war mir von Anfang an, die Wallfahrtsleiter und ihre Mitarbeiter vor Ort zu bestärken und ihnen meine ganze Bewunderung, Wertschätzung und Dankbarkeit bei allen sich bietenden Gelegenheiten zu zeigen, besonders bei der Pilgerleiterkonferenz Ende November, die ich auf zwei Tage und auf 300 Teilnehmer erweitert habe; dabei haben sich freundschaftliche Bande entwickelt. Besonders kostbar waren mir die vielen Begrüßungen und Einholungen der Pilgergruppen, die Pilgermessen, die Einzelsegnungen und vor allem die unvergesslichen Lichterprozessionen jeden Samstagabend. Genauso wichtig war mir der Aufbau der Pilgerbetreuung hier am Gnadenort zusammen mit Pater Norbert, Diakon Thomas Zauner und Gabi Winkler von der Kapelladministration, welche die Struktur der Ausbildung, der spirituellen Unterweisung und des Einsatzplanes Woche für Woche erstellte. Das zusammen ist das Strukturgerüst unserer Altöttinger Willkommenskultur.
Mit Ihrem Amtsantritt als Administrator der Heiligen Kapelle haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben, die erwähnte „Willkommenskultur“ in Altötting zu verbessern. Ist das gelungen, welche Rückmeldungen haben Sie hier von Pilgerleitern oder Pilgern erhalten?
Mandl: Die Voraussetzung für die Willkommenskultur ist der Friede in den eigenen Reihen, das gute, wertschätzende, kollegiale Miteinander zwischen den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern; das gute Betriebsklima nach der Forderung des Herrn: „Daran soll die Welt erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt.“ Diese innere Einheit und dieser Friede übertragen sich fast automatisch nach außen, sodass unsere Willkommenskultur nicht aufgesetzt und künstlich wirkt, sondern glaubwürdig und authentisch.
Ich war mir schon bei meiner Erstkommunion sicher, dass ich Priester werden will“

Welche Menschen und Ereignisse haben Sie auf Ihrem Berufungsweg besonders geprägt?
Mandl: Ich war mir schon bei meiner Erstkommunion sicher, dass ich Priester werden will; dieser Wunsch und Entschluss wurde begünstigt durch eine unbeschreiblich schöne Kindheit in meiner Familie, durch die sehr anregende Heimatpfarrei in Osterhofen und durch die vorbildlichen Seelsorger, die ich erleben durfte.
Sie haben lange als Religionslehrer mit Kindern wie Jugendlichen gearbeitet und die Jugendarbeit lag Ihnen auch als Stadtpfarrer und Administrator stets besonders am Herzen. Was hat sich hier in all den Jahren verändert? Sind junge Menschen heute noch (genauso) offen für den Glauben?
Mandl: Es war für mich eine große Gnade und Fügung, dass ich an dem renommierten Gymnasium, an dem ich Abitur gemacht haben, am Leopoldinum in Passau zum hauptamtlichen, verbeamteten Religionslehrer ernannt wurde: Da war ich in meinem Element wie ein Fisch im Wasser. Im Dienst des göttlichen Sämanns konnte ich viele Kinder und Jugendliche von der 5. Klasse bis zum Abitur zum Herrn und zum Glauben begleiten und motivieren. Ich bin mir ganz sicher, dass alle Menschen Sehnsucht nach Christus haben; denn er ist das lebendige Wasser, das ihre tiefsten Sehnsüchte stillt. Was für alle gilt, gilt ganz besonders für die jungen Menschen: Sie brauchen Orientierung, Sinnstiftung und lebenswerte Ideale und Ziele. Ich möchte alle Religionslehrer herzlich bitten, nicht irgendetwas den Schülern anzubieten, sondern das christliche Welt- und Menschenbild, die christlichen Werte und die „kostbare Perle“, die Christus ist und für die es sich lohnt, alles andere hintanzustellen.
Auch bei der Wallfahrt überblicken Sie einen langen Zeitraum: Hat die Fußwallfahrt klassischer Prägung, bei der zum Teil Hunderte oder Tausende Pilger gemeinsam unterwegs sind, noch eine Zukunft? Oder werden sich die Menschen künftig eher individuell bzw. in kleineren Gruppen auf den Weg machen?
Mandl: Die Fußwallfahrt ist das Herzstück des Gnadenortes: Wenn etwa zu Pfingsten Zigtausende Pilger zu Fuß auf dem Kapellplatz einziehen, dann geht einem das Herz über vor Freude und Dankbarkeit für dieses großartige Glaubenszeugnis. Die Pilger kommen aber auch traditionell mit einem Sonderzug, mit dem Bus, mit Motor- und Fahrrädern. Die Zahl der Individual-Pilger, die privat mit dem PKW kommen, wird immer größer; gerade sie sind auf unsere Pilgerbetreuer besonders angewiesen.
„Wir brauchen dringend ein neues Pfingsten in Deutschland und in der ganzen Welt“

Die Kirche in Deutschland ist auf einem „Synodalen Weg“. Was sind aus Ihrer langen priesterlichen Erfahrung die drängendsten Themen, was muss sich ändern, was nicht?
Mandl: Wir brauchen dringend ein neues Pfingsten in Deutschland und in der ganzen Welt, die Kraft, die Dynamik und die Überzeugungskraft, die vom Geist Gottes kommt. Beim ersten Pfingsten haben die Jünger um und mit Maria neun Tage lang um die „Gabe von oben“ gebetet und wurden dann im Zeichen des Sturmes und der Feuerzungen verwandelt von müden, ängstlichen und feigen Leuten zu feurigen Boten und Zeugen des Auferstandenen. Unser Heiliger Vater sagt bei jeder Gelegenheit, dass er sich von den marianischen Gnadenorten die Erneuerung der Kirche erwartet, weil genau dort viele, viele Gläubige um und mit Maria um die „Gabe von oben“ beten. Nur äußerliche Strukturdebatten sind verlorene Zeit; zuerst müssen wir innerlich erneuert und bekehrt werden in der Kraft und Dynamik des Heiligen Geistes, dann ergeben sich die passenden Strukturen wie von selbst.
Welchen Beitrag kann die Kirche, kann der Glaube heute spielen, dass sich die Dinge auf unserer Erde zum Besseren wenden? Ich denke an die Schöpfung, an Kriege, emotionale Vereinsamung und vieles mehr …
Mandl: Die Corona-Krise ist eine Einladung Gottes an alle Menschen und Völker zur Besinnung, zur Umkehr und zum Neubeginn. So wie bisher können wir in keinem Bereich weitermachen. Die Kirche hat die einmalige Chance, den Menschen neu auf die Spur Jesu Christi zu verhelfen, hin zu den biblischen Werten und Tugenden und damit alles vom Evangelium her zu beleuchten und zu erneuern, unser Bemühen um die schwer verwundete Schöpfung, unser Bemühen um die soziale Gerechtigkeit im Kleinen wie im Großen und unser Mühen um die internationale Zusammenarbeit zum Wohl aller Völker, Kulturen und Sprachen und des Weltfriedens: So wird Krise zur Chance und letztlich zum SEGEN.
Ihre Abschiedsfeier Ende Juli hat es gezeigt: Sie sind beliebt, Mitarbeiter wie Wegbegleiter haben Sie ins Herz geschlossen. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Priester und Seelsorger „seiner Schäfchen“ aus?
Mandl: Ja, es war sehr rührend, wie viel Dankbarkeit und Wertschätzung mir entgegenkam. Ich sagte bei meiner Abschiedspredigt, dass drei Jesusbilder mein priesterliches Wirken geprägt haben: Das Bild vom göttlichen Sämann, in dessen Dienst ich mich immer wusste und weiß, das Bild vom guten Hirten als Maßgabe für eine nachgehende und begleitende Seelsorge von der Wiege bis zur Bahre und das Bild vom Herrn, der den Jüngern die Füße wäscht und uns damit zeigt, dass wahre Größe im Sinne des Herrn in der dienenden Liebe besteht und sich ausdrückt.
Zum Schluss: Was möchten Sie den Altöttingern, aber auch den vielen Pilgern aus allen Himmelsrichtungen noch gerne mit auf den Weg geben?
Mandl: Maria hat sich 1489 dieses kleine Städtchen Altötting in Oberbayern auserwählt für ihre Fürsprache und helfende Präsenz. Unzählige Menschen haben im Laufe der 530-jährigen Wallfahrtsgeschichte hier am Gnadenort Ermutigung, Tröstung, Heilung und Neuorientierung erfahren dürfen, was die 2.000 Votivtafeln in und um die Gnadenkapelle eindrucksvoll belegen. Den Pfarrmitgliedern von Altötting sage ich: Freut Euch über das Privileg, an diesem besonderen Ort leben, wohnen, arbeiten und glauben zu dürfen, ermutigt durch das Zeugnis der vielen Pilger. Die Wallfahrer möchte ich ermutigen, missionarisch zu wirken, sodass immer mehr Menschen, besonders auch junge Menschen den Weg zu Maria finden und über sie zum Herrn, der ja die „kostbare Perle“ ist, für die sich der volle Einsatz lohnt, weil wir in ihm schon am Ziel unserer irdischen Pilgerschaft angekommen sind.
Interview: Wolfgang Terhörst
Fotos: Roswitha Dorfner
Impressionen von der Verabschiedung von Prälat Günther Mandl während des Festgottesdienstes zu Mariä Himmelfahrt und im Anschluss im Klostergarten von St. Konrad
Prälat Günther Mandl – Von Osterhofen über Rom nach Altötting
Günther Mandl wurde am 17. Februar 1946 in Osterhofen geboren, ist mit zehn Geschwistern nach eigenen Worten „in bescheidenen Verhältnissen zufrieden und geborgen in einem vom christlichen Geist geprägten Elternhaus aufgewachsen“. Am Gymnasium Leopoldinum in Passau machte er 1965 Abitur und studierte anschließend an der philosophisch-theologischen Hochschule in Passau und an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom Theologie. 1972 weihte ihn Kardinal Franz König aus Wien in der Kirche San Ignazio in Rom zum Priester. Nach fünfjähriger Kaplanszeit in Vilshofen wurde Mandl Studienrat, Oberstudienrat und Studiendirektor am Leopoldinum, wo er als Seminarleiter junge Religionslehrer aus ganz Bayern für die zweite Lehramtprüfung vorbereitete. Nebenamtlich betreute er 24 Jahre lang die Pfarrei Straßkirchen bei Passau. Zum 1. September 2002 ernannte ihn Bischof Wilhelm Schraml zum Stadtpfarrer und Stiftspropst von Altötting, seit dem 1. September 2008 war Mandl auch Pfarrer in St. Josef, Altötting-Süd. Von 2010 bis 2016 leitete er als Dekan das neugeschaffene Dekanat Altötting. 2014 schließlich ernannte Bischof Stefan Oster Prälat Mandl zum Administrator der Heiligen Kapelle und Wallfahrtsrektor in Altötting.