Bloß die Geduld nicht verlieren und optimistisch bleiben – das ist die Devise des neuen Altöttinger Stiftskapellmeisters Stephan Thinnes. Erst seit Juli diesen Jahres im Amt, musste er sich gleich mal mit der Corona-Krise auseinandersetzen, die auch die Kirchenmusik sehr hart getroffen hat. Jetzt fällt auch noch der Gedenktag für die Patronin der Kirchenmusik, der hl. Cäcilia am 22. November, mitten in eine Lockdown-Phase. Im Interview spricht der Leiter des Altöttinger Kapellchors und -orchesters sowie der Schola Autingensis über aktuelle Herausforderungen und Hoffnungen.
Herr Thinnes, wie schwierig waren für Sie die ersten Monate im Amt?
Stephan Thinnes: Da ich erst im Juli mein neues Amt als Kapellmeister angetreten habe, mussten wir – die Musiker, die Solisten, die Chorsänger und ich – uns erst persönlich und musikalisch kennenlernen. Im Juli und August hatten wir Gott sei Dank die Möglichkeit im kleinen Kreis proben zu dürfen. Nach den Sommerferien im September, als vieles gelockert wurde, konnten wir dann wieder anfangen mit allen zu proben. Wir sind hierfür in die Basilika ausgewichen, wo die Abstandsregeln gut einzuhalten waren. Das war sehr vielversprechend und hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht. Dann kam der erneute Lockdown. Wenn in Chor und Orchester nur zehn Leute aus maximal zwei Haushalten zusammen kommen dürfen, dann brauchen wir mit Proben gar nicht erst anfangen. Und wir mussten ja auch das Kennenlernen wieder einstellen. Das ist frustrierend über Corona hinaus!
„Wir haben ein breites Repertoire, das bei Sängern und Musikern sitzt und das diese auch spontan abrufen können“
Fünf Knabenchöre, darunter die Regensburger Domspatzen, formulierten bereits im Mai einen Appell an die Politik und warnten, dass der monatelange Lockdown ein jahrhundertealtes Kulturgut gefährde. Wie sehr trifft die Krise die Kirchenmusik am Wallfahrtsort?
Stephan Thinnes: Insgesamt sind wir in Altötting in einer guten Situation. Die Kapellsolisten sind Profi-Musiker, die auch dann proben dürfen, wenn die Corona-Ampel auf Rot ist. Die Laien-Sänger und ‑Musiker in Chor und Orchester sind nach wie vor sehr gerne dabei, auch wenn sie derzeit nicht gemeinsam proben und auftreten können. Die Besetzung aber ist geblieben – wegen Corona hat da niemand aufgehört! Wir haben ein breites Repertoire, das bei Sängern und Musikern sitzt und das diese auch spontan abrufen können.
Dennoch ist die Situation für alle Beteiligten derzeit unbefriedigend: Wir sind irgendwie in einem „Niemandsland“, in Warteposition. Ohne gemeinsame Auftritte und ohne genau zu wissen, wie es weiter geht, ist es auch für mich als Verantwortlicher schwierig, eine Perspektive zu geben, die die Leute motiviert. Ich tausche mich u.a. regelmäßig mit meinem Kollegen Herbert Hager, dem Leiter der Altöttinger Kapellsingknaben und Mädchenkantorei, aus. Er hat auch bestätigt: wenn die Sängerinnen und Sänger nur alleine proben können und keine Auftritte haben, dann haben sie kein Ziel vor Augen. Da ist es schwer, zu motivieren.
Wie wird es Ihrer Einschätzung nach weitergehen, auch im Hinblick auf das nahende Weihnachtsfest?
Stephan Thinnes: Wir fahren auf Sicht, nichts ist langfristig planbar im Moment. Aber wenn die Möglichkeit besteht, zu musizieren, dann werden wir das auch sehr gerne tun! Gerade in Altötting sind wir ja in einer gewissen Verantwortung angesichts der Jahrhunderte alten Tradition der Kirchenmusik am Wallfahrtsort. Für die Weihnachtsgottesdienste rechne ich im Moment mit Auftritten in nur kleiner Besetzung. Hier müssen wir spontan reagieren.
Wie bleiben Sie in dieser schwierigen Zeit motiviert und gibt es trotz allem auch Hoffnungszeichen?
Stephan Thinnes: Ich bleibe motiviert, in dem ich die Situation so annehme wie sie ist und das Beste daraus mache. Man muss sich auch vor Augen halten: Es ist ein Privileg, dass wir überhaupt Gottesdienste feiern dürfen! Ich selbst darf wenigstens jeden Tag in Altötting, oft in der Basilika, bei hl. Messen die Orgel spielen, auch gemeinsam mit zumindest einem der Solisten. Da bin ich in einer glücklichen Lage! Grundsätzlich gilt auch, sich immer wieder klar zu machen, dass wir füreinander Verantwortung tragen; gerade in unserem Chor zählen viele Mitglieder zur sogenannten Risikogruppe, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Es hätte auch niemand einen Vorteil, wenn wir mit allzu offenen und sorglosen Maßnahmen dann doch wieder einen noch strengeren und längeren Lockdown riskieren. Hoffnung gibt mir die Einstellung meiner Musiker und Sänger. Alle sagen: „Es muss weitergehen – da hat Corona keine Chance!“ Auch ich bin mir sicher: wir werden wieder alle zusammen musizieren! Wichtig ist es, nicht die Geduld zu verlieren, in dieser schwierigen, ich sage gerne: in dieser unwirklichen Zeit.
Interview: Michael Glaß