Vom Ruf des Muezzins zum Angelusgebet – Interreligiöse Inspirationen durch den heiligen Franz von Assisi

Michael Glaß am 21.01.2020

2020 01 17 aoelfb franz von assisi briefmarke sultan ausschnitt Foto: BMF
Ausschnitt aus der Sonderbriefmarke zum Treffen des hl. Franziskus mit dem ägyptischen Sultan.

Jesus war ein Jude, der heilige Nikolaus stammt aus der heutigen Türkei und der heilige Augustinus war ein Afrikaner: das Christentum ist von Beginn seiner Geschichte an ein Global Player, der mit verschiedenen Kulturen und Religionen im Dialog steht. Die Bereitschaft zum interreligiösen Dialog ist eine weniger bekannte Eigenschaft des heiligen Franz von Assisi (1186-1226).

2020 01 17 aoelfb franz von assisi sonnengesang Foto: Roswitha Dorfner
Darstellung des "Sonnengesangs" des heiligen Franz von Assisi im Provinzhaus Heilig Kreuz in Altötting.

Fran­zis­kus zählt zu den popu­lärs­ten Hei­li­gen der katho­li­schen Kir­che, vor allem natür­lich, seit der Papst sei­nen Namen trägt und des­sen Lau­da­to Si“ zum Aus­gangs­punkt sei­ner gleich­na­mi­gen Schöp­fungs-Enzy­kli­ka gemacht hat. Spiel­mann Got­tes, Rebell, Bru­der Feu­er, Hei­li­ger und Ket­zer … was hat man die­sem radi­ka­len Gott­su­cher, Chris­tus­nach­fol­ger und Armuts­fa­na­ti­ker nicht alles zuge­schrie­ben! Nicht nur Kin­der lie­ben sein Lau­da­to Si“, der Son­nen­ge­sang ist ein gutes Stück Weltliteratur.

Gelungener interreligiöser Dialog

2020 01 17 aoelfb franz von assisi briefmarke sultan Foto: BMF
Sonderbriefmarke zum Treffen des hl. Franziskus mit dem ägyptischen Sultan.

Im Febru­ar 2019 über­reich­te Papst Fran­zis­kus dem Kron­prin­zen der Ver­ei­nig­ten Emi­ra­te bei sei­ner Rei­se auf die Ara­bi­sche Halb­in­sel eine Medail­le, die an die Begeg­nung des hei­li­gen Franz von Assi­si mit dem ägyp­ti­schen Sul­tan Malik al-Kamil vor genau 800 Jah­ren erin­nern soll­te. Recht­zei­tig zum Geburts­tag des popu­lä­ren Hei­li­gen am 4. Okto­ber prä­sen­tier­te die Deut­sche Bun­des­post eine Brief­mar­ke mit eben dem­sel­ben Hin­weis. Was hat es mit die­sem Tref­fen auf sich?

Schau­en wir 800 Jah­re zurück: Die Zeit war alles ande­re als ruhig und fried­lich. Der 5. Kreuz­zug (12171221) war wie auch die Kreuz­zü­ge zuvor auf bei­den Sei­ten von gro­ßer Bru­ta­li­tät geprägt. Dabei war das Ansin­nen der Kreuz­fah­rer eigent­lich ein from­mes: Man woll­te an den Stät­ten, an denen Jesus Chris­tus leb­te, beten. Das war nicht mög­lich, da Jeru­sa­lem in der Hand der Mus­li­me war. Der Sul­tan Melek al-Kamil hat­te dem Kreuz­fah­rer­heer ange­bo­ten, Jeru­sa­lem und gro­ße Tei­le Paläs­ti­nas gegen den Abzug der Kreuz­fah­rer zugäng­lich zu machen. Die Kreuz­fah­rer lehn­ten aber Ver­hand­lun­gen ab. Im Früh­jahr 1218 begann die Bela­ge­rung der stra­te­gisch wich­ti­gen Stadt Dami­et­te in Ägypten.

In die­ser Zeit wag­te sich Franz von Assi­si, der sich dem Kreuz­zugs­heer ange­schlos­sen hat­te, ins Lager des Sul­tans, um ihm das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den. Was genau geschah, lässt sich nicht mehr ergrün­den. Allein, dass er zum Sul­tan vor­ge­las­sen wur­de und unbe­scha­det heim­keh­ren konn­te, erscheint als ein Wun­der. Poli­tisch miss­lang die Frie­dens­mis­si­on, aber in den Gesprä­chen scheint sich etwas ereig­net zu haben: Bei­de, der Sul­tan und der Bet­tel­mönch, waren von­ein­an­der im Inners­ten berührt. Das wür­den wir heu­te als einen gelun­ge­nen inter­re­li­giö­sen Dia­log bezeich­nen: ein respekt­vol­les Gespräch auf Augenhöhe.

Lernen vom fremden Anderen

2020 01 17 aoelfb franz von assisi stigmata Foto: Roswitha Dorfner
Die Stigmatisierung des Franz von Assisi in einer Darstellung in Maria Bühel bei Oberndorf.

Wir wis­sen wenig Ver­läss­li­ches über das Tref­fen, nur, wel­che Fol­ge­run­gen Fran­zis­kus aus die­ser Begeg­nung zog und wie das alles heu­te in Assi­si wei­ter­lebt: Fran­zis­kus war vom Ruf des Muez­zins, mit dem die gläu­bi­gen Mus­li­me mehr­mals am Tag zum Gebet geru­fen wur­den, fas­zi­niert. Heim­ge­kehrt reg­te er in ver­schie­de­nen Brie­fen an, dass jedes Volk welt­weit in den All­tags­ge­schäf­ten inne­hal­ten und Gott loben sol­le: dass an jedem Abend durch einen Herold oder sonst ein Zei­chen dazu auf­ge­ru­fen wird, vom gesam­ten Volk Gott, dem all­mäch­ti­gen Herrn, Lob­preis und Dank zu erwei­sen“ (Brief an die Len­ker der Völ­ker), dass zu jeder Stun­de und wenn die Glo­cken läu­ten, dem all­mäch­ti­gen Gott vom gesam­ten Volk auf der gan­zen Erde immer Lob­preis und Dank dar­ge­bracht wird“ (Ers­ter Brief an die Kustoden).

Das Ange­lus­ge­bet der katho­li­schen Kir­che ist eine Frucht der Begeg­nung des Fran­zis­kus mit dem Sul­tan. Die­ses frü­he Zeug­nis eines inter­re­li­giö­sen Dia­logs, einem Ler­nen vom frem­den Ande­ren, hät­te man sicher in die­sen Zei­ten nicht ver­mu­tet. In den Schrif­ten des Hei­li­gen las­sen sich wei­te­re Früch­te eines inter­re­li­giö­sen Lern­pro­zes­ses erken­nen. Er war beein­druckt von der Weis­heit der 99 isla­mi­schen Got­tes­na­men. Fran­zis­kus schreibt eige­ne Gebe­te, die Gott in vie­len Namen prei­sen; dabei geht er über die isla­mi­schen und katho­li­schen Lita­nei­en hin­aus, denn er preist Gott auch mit 23 weib­li­chen Namen. Beson­ders ein­dring­lich tritt dies im Lob­preis Got­tes zu Tage, den Fran­zis­kus unmit­tel­bar nach sei­ner Stig­ma­tis­a­ti­on in La Ver­na ver­fasst hat.

Zeugnisse in Assisi

2020 01 17 aoelfb assisi weltfriedensglocke Foto: Monika Stiel
Die Weltfriedensglocke in Assisi.

Von die­ser inter­re­li­giö­sen Offen­heit des hei­li­gen Fran­zis­kus fin­den wir auch heu­te Zeug­nis­se in Assi­si. Wer in Assi­si vor der Ober­kir­che ste­hend durch die klei­ne Pfor­te ins beein­dru­cken­de Natur­schutz­ge­biet Bosco di San Fran­ce­so“ schrei­tet, stößt auf eine Welt­frie­dens­glo­cke, auf deren Stütz­pfei­lern die Sym­bo­le der vier gro­ßen Welt­re­li­gio­nen Chris­ten­tum, Juden­tum, Islam und Bud­dhis­mus zu sehen sind. Sie stammt vom Künst­ler Ger­hard Kad­letz (geb. 1947 in Pas­sau), der bei der Gestal­tung sei­nes Pro­jekts vom dama­li­gen Pas­sau­er Dom­de­kan Otto Moch­ti bera­ten wor­den ist. Die Frie­dens­glo­cke erin­nert an das ers­te inter­re­li­giö­se Frie­dens­ge­bet in Assi­si, das im Jahr 1986 von Papst Johan­nes Paul II. ange­regt wor­den war. Das zwei­te von ihm initi­ier­te Frie­dens­ge­bet fand im Jahr 2002 nach den Ein­drü­cken der Atten­ta­te vom 11.9.2001 statt; Ziel war es, dass jede Form von Gewalt im Namen des Glau­bens geäch­tet“ wer­den soll­te. Papst Bene­dikt XVI. lud im Jahr 2011 zum drit­ten gro­ßen Frie­dens­ge­bet nach Assi­si ein; alle Men­schen sei­en Pil­gern­de der Wahr­heit und Pil­gern­de des Frie­dens; Kei­ne Kir­che und kei­ne Reli­gi­on“, erklär­te der Gast­ge­ber, besit­ze die Wahr­heit: Jede ech­te Reli­gi­on suche sie pil­gernd und kön­ne von ande­ren Pil­gern­den ler­nen“ fasst der renom­mier­te Fran­zis­kus-For­scher die­ses Tref­fen zusammen.

In der Tra­di­ti­on des Bemü­hens um Frie­den stammt auch ein bekann­tes Lied, das manch­mal Franz von Assi­si zuge­schrie­ben wird, aber erst im Jah­re 2012 in Frank­reich erschie­nen ist: Herr mach mich zum Werk­zeug dei­nes Friedens.

Text: Prof. Dr. Hans Mendl

Zehn Gebote für den Dialog

In einem Fern­kurs zum Fran­zis­ka­nisch-Mis­sio­na­ri­schen Cha­ris­ma hat die fran­zis­ka­ni­sche Fami­lie in welt­wei­ter Zusam­men­ar­beit fol­gen­de zehn Gebo­te für den inter­re­li­giö­sen Dia­log verfasst:

  • (1) Dia­log aus der Dyna­mik des Gebets
  • (2) Die Initia­ti­ve ergreifen
  • (3) In allem den Frie­den suchen
  • (4) Ver­trau­en in Got­tes Geist
  • (5) Jedem Men­schen hilf­reich sein
  • (6) Mit­ten unter ihnen leben
  • (7) Durch Leben und durch Wor­te wirken
  • (8) Die eige­ne Iden­ti­tät zeige
  • (9) Gemein­sam handeln
  • (10) Zuhö­ren und von­ein­an­der lernen

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