Kaum jemand hat wohl – neben den Pilgern selbst – den Wallfahrtsort Altötting so geprägt wie Herbert Hofauer als Erster Bürgermeister. Dieses Amt hat er aus freien Stücken zum 1. Mai nach einem Vierteljahrhundert abgegeben. Anlass genug, mit ihm über seine Erfahrungen und Erlebnisse rund um den Gnadenort zu sprechen – und was er seiner Heimatstadt für die Zukunft wünscht.
Lieber Herr Hofauer, am 1. Mai endete ihre Amtszeit als Erster Bürgermeister der Kreis- und Wallfahrtsstadt Altötting. Dieses Amt haben Sie ein Vierteljahrhundert lang mit viel Herzblut und Engagement ausgefüllt – seit kurzem dürfen Sie sich offiziell Altbürgermeister nennen. Wie fühlt sich das Loslassen an?
Hofauer: Ja, zugegeben, es ist schon ein eigenartiges Gefühl, von einem Tag auf den anderen eine 36-jährige Tätigkeit in der Kommunalpolitik für die Kreis- und Wallfahrtsstadt Altötting und nach einem Vierteljahrhundert auch das Amt des Ersten Bürgermeisters zu beenden. Ich habe das aber von langer Hand und ganz selbstbestimmt so geplant. Ich wollte nach dieser langen Zeit, die mich auch sehr gefordert hat, einfach in meinem letzten Lebensabschnitt mehr Raum für meine Familie und meine Kinder, Enkel und meine liebe Frau Geli haben, Bücher lesen, Hebräisch lernen und mich noch intensiver in den Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem einbringen, dem meine Frau und ich angehören dürfen. Ich werde weiterhin dem Kreistag Altötting angehören und auch in der Zukunft als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes wirken mit tausenden von ehrenamtlichen Kameradinnen und Kameraden und mehr als 1.000 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich freue mich auf diese Zeit eines erfüllten Ruhestandes.
Das Ende Ihrer langen Zeit war durch die beispiellose Corona-Krise geprägt. Ausgerechnet im Wallfahrtsort Altötting, der ganz wesentlich durch die vielen Tausend Pilger aus aller Welt geprägt ist – und zu einem guten Teil auch von ihnen lebt –, mussten während des Lockdowns buchstäblich die Kirchentüren verschlossen werden. Wie sehr schmerzt Sie das?
Hofauer: Die Schließung der Altöttinger Kirchen und der Gnadenkapelle war eine sehr traurige und höchst ungewöhnliche und trotzdem eine notwendige Situation. Gerade in der Karwoche und an den Osterfeiertagen haben viele Menschen es sehr bedauert, nicht an den Gottesdiensten teilnehmen zu können. Ich danke der Diözese und auch unserer Wallfahrtsleitung und den Pfarreien im Pfarrverband Altötting, dass sehr schnell qualitätsvolle virtuelle Angebote organisiert wurden, die aber ein persönliches Mitfeiern der Gottesdienste nicht wirklich voll ersetzen konnten. Am traurigsten fand ich hier am Wallfahrtsort, dass so viele traditionsreiche Wallfahrten abgesagt werden mussten, ein Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat. Der leere Kapellplatz vor meinem Rathausbüro war eine ständige Mahnung, den rechten Weg zwischen dem Schutz der Menschen vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus und der Wiederermöglichung des religiösen Lebens zu finden.
Sie haben sich immer stark für die Wallfahrt eingesetzt, lokal, national und international. Sie dürfen Papst emeritus Benedikt XVI. einen Freund nennen, ebenso wie wahrscheinlich viele andere geistliche Würdenträger. Wie bleibt man da „auf dem Teppich“ und den sogenannten normalen Bürgern verbunden?
Hofauer: Wenn man die richtige Einstellung als Bürgermeister und als Mensch mitbringt, ist das nicht schwer. Ich habe mich immer gefreut, hohe und höchste kirchliche und weltliche Würdenträger in Altötting willkommen heißen zu dürfen und auch der liebenswürdige Kontakt mit Papst emeritus Benedikt XVI. war mir immer eine große Ehre. Dass er mir zu meinem Ausscheiden einen sehr persönlichen Brief geschrieben hat, hat mich sehr gefreut. Auch ich war ihm stets mit Freundschaft, Hochachtung und im Gebet sehr verbunden. Ein Bürgermeister an einem Wallfahrtsort muss sich der Aufgabe stellen, die berechtigten Anliegen der Bürgerschaft zu verbinden mit den Anforderungen einer Jahrhunderte alten großen und bedeutenden Wallfahrt. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Und der Einsatz für die Bürgerschaft steht natürlich im Alltagsgeschäft immer im Mittelpunkt der Arbeit eines Bürgermeisters. Bürgermeister sein ist keine herrschende Tätigkeit, sondern eine dienende. So habe ich meine Arbeit immer aufgefasst.
„Der schönste Tag meiner Amtszeit war sicherlich der Besuch von S. H. Papst Benedikt XVI. hier am Gnadenort“
Welche Ereignisse und Begegnungen haben Sie als Bürgermeister am stärksten bewegt – und warum?
Hofauer: Ach da gäbe es Hunderte von Ereignissen, die ich in großer Dankbarkeit wohl nie vergessen werde. Der schönste Tag meiner Amtszeit war sicherlich der Besuch von S. H. Papst Benedikt XVI. hier am Gnadenort, den ich mit vorbereiten und mit organisieren durfte. Auch der Heilige Vater emeritus denkt gerne an diesen Tag zurück. Kurz vor diesem Besuch unseres bayerischen Papstes in Altötting durfte ich ihm in Begleitung einer großen Stadtratsdelegation im Rahmen einer Privataudienz im Vatikan die Ehrenbürgerwürde unserer Wallfahrtsstadt überreichen, die er angenommen hatte. Ich denke aber auch an viele große Wallfahrtsereignisse, an die Einweihung der Papststatue auf dem Kapellplatz mit S. E. Erzbischof Georg Gänswein, Präfekt des Päpstlichen Hauses und Privatsekretär des Heiligen Vaters, an die Einweihung des Kultur + Kongress Forums Altötting, an die Verleihung des Europapreises, der höchsten Auszeichnung, die der Europarat an Städte vergibt, an die herausragend gute Zusammenarbeit in den „Shrines of Europe“, an herausragende Begegnungen etwa mit mehreren Bundespräsidenten, den Ministerpräsidenten Bayerns und vielen Künstlerinnen und Künstlern, viele geglückte Bau- und Investitionsmaßnahmen in der Stadt.
Sie sind sozial stark engagiert, haben regelmäßig persönlich Hilfstransporte nach Rumänien gefahren und wollen das auch weiterhin tun. Welche Rolle spielt – auch aus diesen Erfahrungen heraus – in Ihrem Leben die christliche Kernbotschaft der Nächstenliebe?
Hofauer: Ja, ich habe immer die Auffassung vertreten, dass jemand, der ein öffentliches Amt mit seinen ganz besonderen Möglichkeiten und Kontakten innehaben darf, sich auch in besonderer Weise sozial engagieren muss. Vielfältig waren meine Initiativen in diesem Bereich, immer mit wichtigen Partnern und Unterstützern gemeinsam, ich denke an mehrere LKW-Hilfsfahrten in den Kriegsjahren in die damals schwer umkämpfte Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina, an den Bau einer Sporthalle im Kinderdorf von Padre Geraldo Brandstetter in Guarabira im armen Nordosten Brasiliens, an die bis heute mir sehr am Herzen liegenden Hilfsfahrten in den Nordosten Rumäniens und an viele andere Aktivitäten mehr. Gelebte und konkrete Nächstenliebe muss das Leben von uns Christen auszeichnen und prägen, das habe ich in meinem Leben immer so gesehen. Schöne Worte reichen einfach nicht.
Schon Kirchenvater Hieronymus beschrieb im 4. Jahrhundert die Landschaft des Heiligen Landes als „fünftes Evangelium“. Sie selbst verbindet eine große Liebe mit Israel und Palästina. Warum lohnt es sich, dorthin zu fahren?
Hofauer: Ich habe seit vielen Jahren immer wieder Israel und Palästina, aber auch andere Länder des Nahen Osten, Syrien, Jordanien und den Libanon bereist. Im Heiligen Land wird das Evangelium ganz konkret erlebbar und erfahrbar; auf den Fußspuren Jesu und seiner Jünger zu wandern, über den See Genezareth zu fahren, an der Klagemauer zu verweilen und die Grabeskirche zu besuchen, sind für mich ganz besondere und bereichernde Erfahrungen. Auch die Wüste liebe ich sehr, eine Fußwanderung ganz alleine von Jerusalem nach Jericho durch das Wadi Kelt wird mir immer in Erinnerung bleiben. Viele Freundschaften mit Juden und Arabern durfte ich bei diesen Reisen schließen und ich freue mich sehr, dass meine Frau und ich vor einigen Jahren in den ehrwürdigen Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem investiert wurden. Ja, das Heilige Land ist das Land meiner Träume. Besonders freut es mich auch, dass es uns gelungen ist, die Geburtsstadt Jesu Christi, Bethlehem, für eine Mitgliedschaft in den „Shrines of Europe“ zu gewinnen.
„Ich glaube ganz fest, dass jeder von uns in „die Hand Gottes“ eingeschrieben ist und Gott um jeden von uns weiß“
Wenn Sie mit all Ihrer Erfahrung als Politiker auf unsere Welt heute schauen, haben Sie dann mehr Hoffnung oder mehr Skepsis, dass wir Menschen die Schöpfung bewahren und zu einem guten Miteinander gelangen können?
Hofauer: Ich glaube, dass es keinen anderen Weg für ein glückliches Leben aller Menschen auf unserem Planeten gibt, als eine grundlegende Änderung unserer Lebensverhältnisse konsequent herbeizuführen. Das gilt insbesondere für uns hier in den reichen Ländern der Erde. Wir müssen uns die mehr als unbefriedigenden Lebensverhältnisse der Menschen in den Ländern der „Dritten Welt“ immer vor Augen halten und uns für eine Verbesserung der dortigen Situation konkret einsetzen. Dies und der Schutz unseres Klimas sind eine gewaltige Anforderung an die Politik und in der eigenen Lebensgestaltung auch an jeden von uns. Die Corona-Krise muss uns zum Nachdenken bewegen, ich sehe darin nicht die Strafe Gottes aber vielleicht einen der letzten Appelle, endlich Frieden, Gerechtigkeit und globale Solidarität zu verwirklichen.
Welche Rolle spielt für „das gute Leben“ der Glaube an Gott, an Christus und die Gottesmutter, die ja eine besondere Heimstatt in Altötting hat?
Hofauer: Ich glaube ganz fest, dass jeder von uns in „die Hand Gottes“ eingeschrieben ist und Gott um jeden von uns weiß. Ich habe mich auch – aber nicht nur – in schwierigen und gefährlichen Situationen meines Lebens in der konkreten Anwesenheit und väterlichen Fürsorge unseres Gottes geborgen gewusst, dem konkret an mir liegt, der mich trotz meiner Fehler vorbehaltslos liebt und der mich – wenn es einmal soweit ist – auch mit offenen Armen willkommen heißen wird und mir eine Wohnung zuweist, die er für mich vorbereitet hat. Die Mutter Gottes, die wir hier in Altötting in besonderer Weise verehren, zeigt uns den Weg zu diesem letzten Ziel.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für Ihre Heimatstadt, welcher wäre das?
Hofauer: Für meine Heimatstadt Altötting wünsche ich von ganzem Herzen, dass sie auch weiterhin ein Ort sein kann, an dem die gesamte Bürgerschaft gut und mit allem Notwendigen versorgt, glücklich leben kann. Und ich wünsche mir, dass auch in der Zukunft viele Menschen ihren Weg zu unserem uralten Heiligtum und zu unserer Gnadenmutter von Altötting finden werden, um hier ihre Sorgen abzulegen, zu bitten und zu danken und als beschenkte Menschen wieder in ihre Heimatorte zurückkehren können.
Interview: Wolfgang Terhörst
Zur Person
Herbert Hofauer wurde in Altötting geboren und schloss nach Grund- und Realschule in Altötting die Beamtenfachschule in München als Diplomverwaltungswirt (FH) ab. Ab dem Jahr 1982 war er Sachgebietsleiter am Landratsamt Altötting und 13 Jahre persönlicher Referent und Pressesprecher des Landrates. 1982 heiratete Hofauer in der Altöttinger Stiftspfarrkirche seine Frau Geli – die drei Kinder erfreuen die Eheleute mit inzwischen drei Enkelkindern. In den Jahren 1984 bis 1995 war Hofauer (Freie Wähler) Mitglied des Stadtrates von Altötting. Seit dem Jahr 1995 bis zum 30. April dieses Jahres war er schließlich Erster Bürgermeister der Stadt Altötting. Bereits am 6. Mai hat ihm der Stadtrat den Ehrentitel Altbürgermeister verliehen. Papst em. Benedikt XVI. hat Herbert Hofauer anlässlich seines Amtsendes einen persönlichen Brief geschrieben, in dem er ihm ein herzliches Vergelt‘s Gott sagt für die 25 Jahre, „die Sie als Bürgermeister der Kreis- und Wallfahrtsstadt Altötting und weit darüber hinaus geschenkt haben“.